Echo Einer Winternacht
leiblichen Mutter anstellte. Mein Vater ist vor drei Jahren gestorben. Und meine Mutter … na ja, sie ist in einem Heim. Sie hat Alzheimer.
Sie könnte genauso gut tot sein, für sie macht es keinen Unterschied. Also habe ich vor ein paar Monaten angefangen nachzuforschen.«
Er verließ den Raum und kam gleich darauf mit einem blauen Papphefter zurück. »Hier«, sagte er und reichte ihn Lawson.
Der Polizeibeamte fühlte sich, als sei ihm ein Glas mit Nitroglyzerin überreicht worden. Er verstand den leisen Widerwillen nicht recht, der in ihm aufkam, aber er ließ sich dadurch nicht abhalten, den Hefter zu öffnen. Die Papiere waren chronologisch geordnet. Zuerst kam Macfadyens Brief mit der Bitte um Auskunft. Lawson blätterte weiter und erfasste das Wesentliche des Schreibens. Er kam zu einer Geburtsurkunde und hielt inne. Da an der Stelle, der für den Namen der Mutter ausgespart war, fiel sein Blick auf bekannte Angaben. Rosemary Margaret Duff. Geburtsdatum 25. Mai 1959. Beschäftigung der Mutter: arbeitslos. Wo der Name des Vaters hätte eingesetzt werden sollen, stand das Wort ›unbekannt‹ wie der kleine scharlachrote Buchstabe auf einem puritanischen Kleid. Aber die Adresse war ihm neu.
Lawson schaute auf. Macfadyen hielt die Lehnen seines Sessels fest umklammert, seine Knöchel sahen wie mit Latexfarbe gestrichene Kiesel aus. »Livingstone House, Saline?«, fragte Lawson.
»Das steht da alles drin. Ein Heim der schottischen Kirche, wo junge Frauen, die in Schwierigkeiten waren, hingeschickt wurden, um zu entbinden. Jetzt ist es ein Kinderheim, aber damals war es ein Ort, an den man Frauen schickte, um ihre Schande vor den Nachbarn geheim zu halten. Ich habe die Frau ausfindig machen können, die das Heim damals geleitet hat. Ina Dryburgh. Sie ist jetzt über siebzig, aber geistig noch ganz frisch. Ich war überrascht, wie bereitwillig sie mit mir sprach.
Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt. Aber sie sagte, es liege zu weit zurück, um jetzt noch jemandem zu schaden. Lass die Toten ihre Toten begraben, das scheint ihre Philosophie zu sein.«
»Was hat sie Ihnen erzählt?« Lawson beugte sich auf seinem Stuhl vor, er wollte, dass Macfadyen das Geheimnis preisgab, das wie durch ein Wunder alle Ermittlungen zu einem Mordfall überstanden hatte. Der junge Mann entspannte sich leicht, jetzt schien es ihm, dass man ihn endlich ernst nahm. »Rosie ist schwanger geworden, als sie fünfzehn war. Sie fand erst im dritten Monat, aber bevor irgendjemand es erraten hatte, den Mut, es ihrer Mutter zu sagen. Ihre Mutter wurde schnell aktiv.
Sie stattete dem Pfarrer einen Besuch ab, und er gab ihr die Adresse von Livingstone House. Mrs. Duff nahm am nächsten Morgen einen Bus und besuchte Mrs. Dryburgh. Diese erklärte sich bereit, Rosie aufzunehmen, und schlug vor, dass Mrs. Duff verbreiten solle, Rosie sei weggefahren, um bei einer Verwandten zu wohnen, die nach einer Operation Hilfe im Haushalt und mit den Kindern brauchte. Rosie verließ Strathkinness noch am gleichen Wochenende und ging nach Saline. Den Rest ihrer Schwangerschaft verbrachte sie unter Mrs. Dryburghs Fittichen.« Macfadyen schluckte.
»Sie hat mich nie im Arm gehalten, mich nicht einmal gesehen. Ein Foto hatte sie, das war alles. Man hat die Dinge damals anders geregelt. Ich wurde weggebracht und am gleichen Tag meinen Eltern übergeben. Und am Ende der Woche war Rosie bereits wieder in Strathkinness, als sei nichts geschehen.
Mrs. Dryburgh sagte, das nächste Mal, dass sie Rosies Namen hörte, sei in den Fernsehnachrichten gewesen.« Er stieß kurz und heftig den Atem aus.
»Und dann hat sie mir gesagt, dass meine Mutter seit fünfundzwanzig Jahren tot sei. Ermordet. Und niemand wurde jemals zur Rechenschaft gezogen. Ich wusste nicht, was tun. Ich wollte mit dem Rest meiner Familie Kontakt aufnehmen. Es gelang mir herauszufinden, dass meine beiden Großeltern tot sind. Aber ich habe offenbar zwei Onkel.«
»Sie haben sich nicht mit ihnen in Verbindung gesetzt?«
»Ich wusste nicht, ob ich das tun sollte. Und dann sah ich einen Artikel in der Zeitung über die Wiederaufnahme von alten Fällen und dachte, ich sollte zuerst mit Ihnen sprechen.«
Lawson sah zu Boden. »Außer wenn sie sich sehr geändert haben, seit der Zeit, als ich sie kannte, würde ich sagen, Sie sind besser dran, wenn Sie keine schlafenden Hunde wecken.« Er spürte Macfadyens Blick auf sich ruhen und hob den Kopf.
»Brian und Colin haben Rosie immer sehr intensiv
Weitere Kostenlose Bücher