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Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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»Er wird wahrscheinlich beim Begräbnis die Predigt halten wollen.«
    Lynn sah ihn entsetzt an. »Bloß nicht. Das darfst du nicht zulassen.«
    »Ich weiß.« Alex beugte sich vor und hob sein Glas. Er trank die letzten Tropfen seines Brandys. »Weißt du, welcher Tag heute ist?«
    Lynn erstarrte. »Oh, um Gottes willen.«
     
    Reverend Tom Mackie legte den Hörer auf und fuhr über das vergoldete Silberkreuz auf seiner lila Seidensoutane. Seine amerikanische Gemeinde fand es toll, einen britischen Pfarrer zu haben, und da sie Schotten und Engländer sowieso immer durcheinanderwarfen, befriedigte er ihr Bedürfnis nach Prunk mit dem üppigsten Dekor der anglikanischen Kirche. Es war ein eitles Unterfangen, das gab er zu, aber im Grunde war es harmlos.
    Da seine Sekretärin heute schon früher gegangen war, konnte er sich in der Einsamkeit des leeren Büros seiner verwirrten Reaktion auf Ziggy Malkiewicz’ Tod stellen, ohne sich der Öffentlichkeit zeigen zu müssen. Zwar gebrach es Weird bei der Ausübung seines geistlichen Amtes nicht an zynischer Manipulation, aber seine Glaubenssätze, die seine seelsorgerische Macht untermauerten, waren aufrichtig und von tiefer Frömmigkeit. Und er wusste im Grunde seines Herzens, dass Ziggy ein Sünder war, vom Makel der Homosexualität unwiderruflich befleckt. In Weirds fundamentalistischer Welt gab es keinen Zweifel daran. Die Bibel machte klare Aussagen zum Verbot dieser Sünde und dem Abscheu davor. Selbst wenn Ziggy ehrliche Reue gezeigt hätte, wäre Rettung nur schwerlich zu erreichen gewesen, aber soweit Weird wusste, war Ziggy so gestorben, wie er gelebt hatte, in der Hingabe an seine Sünde.
    Zweifellos entsprach die Art und Weise, wie er gestorben war, irgendwie den Ausschweifungen seines Lebens. Der Zusammenhang wäre besser zu erkennen gewesen, wenn der Herr ihm die Geißel Aids geschickt hätte. Aber Weird hatte im Stillen schon ein Szenario geschaffen, das Ziggy und seinen eigenen gefährlichen Entscheidungen die Schuld gab. Vielleicht hatte irgendeine Eroberung gewartet, bis Ziggy schlief, um ihn auszurauben, und hatte dann das Feuer gelegt, um das Verbrechen zu vertuschen. Vielleicht hatten sie Marihuana geraucht, und ein schwelender Joint war die Ursache des Brandes gewesen.
    Wie immer es auch geschehen war, Ziggys Tod war jedenfalls eine Erinnerung für Weird, dass man die Sünde hassen und doch den Sünder lieben konnte. Dass ihre Freundschaft real gewesen war, ließ sich nicht leugnen. Sie hatte sie durch ihre Jugendjahre getragen, als er selbst mit seinem stürmischen Wesen für das Licht blind und wirklich noch »Weird« – also absonderlich –
    gewesen war. Ohne Ziggy hätte er es nie geschafft, als Jugendlicher nicht in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten.
    Oder es wäre noch Schlimmeres geschehen.
    Ohne Stichwort spulte seine Erinnerung sofort eine ganze Sequenz im Rückblick ab. Winter 1972. Das Jahr, in dem sie die Prüfungen zum Abschluss der Mittelstufe machten. Alex hatte sein Talent zum Aufbrechen von Autos ohne Beschädigung des Schlosses entwickelt. Man brauchte dazu einen biegsamen Metallstreifen und viel Geschicklichkeit. Es gab ihm die Möglichkeit zur Anarchie, ohne wirklich kriminelle Handlungen zu begehen. Der Ablauf war recht einfach. Zwei verbotene Carlsberg Special in der Harbour Bar, dann brachen sie auf zu einem Streifzug durch die Nacht. Sie brachen zwischen dem Pub und der Bushaltestelle wahllos ein halbes Dutzend Autos auf.
    Alex steckte sein Metallband in die Autotür und ließ das Schloss aufspringen. Dann stieg Ziggy oder Weird ein und kritzelte ihre Nachricht innen auf die Windschutzscheibe. Und zwar schrieben sie den Refrain aus Bowies »Laughing Gnome« mit rotem, zuvor im Drogeriemarkt geklautem Lippenstift, den zu entfernen nur mit höllischer Anstrengung gelang. Dies brachte die vier immer so zum Lachen, dass sie nicht mehr aufhören konnten.
    Dann stolperten sie weiter, albern kichernd, aber darauf achtend, dass sie die Autotür hinter sich abschlossen. Es war ein Spiel, das zugleich dumm und gewieft war. Eines Nachts hatte sich Weird hinter das Steuer eines Ford Escort gesetzt. Während Ziggy schrieb, hatte er den Aschenbecher herausgezogen und starrte mit Entzücken auf den Reserveschlüssel. Da er wusste, dass sie Diebstahl nicht im Programm hatten und dass Ziggy ihn aufhalten und ihm den Spaß verderben würde, hatte Weird gewartet, bis sein Freund ausgestiegen war, hatte dann den Schlüssel ins Zündschloss

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