Echo Einer Winternacht
für Ziggy, dass es bei seinen letzten Worten um die Sorge für einen anderen Menschen ging. Denn Ziggy war immer derjenige gewesen, der sich um die anderen kümmerte.
In jeder Gruppe gibt es einen Menschen, der als Fels in der Brandung den schwächeren Mitgliedern des Stammes Schutz gewährt, damit sie ihre eigene Stärke nach und nach entwickeln.
Für die Laddies fi’ Kirkcaldy war das immer Ziggy gewesen.
Dabei war er nicht herrisch und darauf aus, alles zu dominieren.
Sondern er hatte einfach eine natürliche Begabung für diese Rolle, und die anderen drei waren die Nutznießer von Ziggys Fähigkeit, für alles Lösungen zu finden. Selbst als sie schon erwachsen waren, war es immer Ziggy gewesen, an den sich Alex wandte, wenn er Verständnis brauchte. Als er den folgenschweren Schritt von der abhängigen Arbeit zum Wagnis der Gründung einer eigenen Firma überdachte, waren sie ein Wochenende in New York gewesen und hatten die Vor-und Nachteile gegeneinander abgewogen, und Alex musste ehrlich zugeben, dass Ziggys Glaube an seine Fähigkeiten eher als Lynns Überzeugung, dass er Erfolg haben würde, den Ausschlag gegeben hatte. Auch das würde nie wieder so sein.
»Alex?« Die Stimme seiner Frau unterbrach seine gedankenverlorenen Grübeleien. Er war so vertieft gewesen, dass er weder ihren Wagen noch ihre Schritte gehört hatte. Er wandte sich halb um, wobei er den leichten Duft ihres Parfüms roch.
»Warum sitzt du im Dunkeln? Und warum bist du so früh zu Hause?« Es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme, nur Sorge. Alex schüttelte den Kopf. Er wollte ihr die schlimme Neuigkeit nicht mitteilen.
»Etwas stimmt doch nicht«, beharrte Lynn, ging dabei auf ihn zu und setzte sich auf den Sessel neben ihm. Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Alex? Was ist los?«
Als er hörte, wie besorgt sie war, ließ die betäubende Wirkung des Schocks plötzlich nach. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihn und nahm ihm einen Moment den Atem. Er sah Lynns besorgten Blick und wand sich innerlich. Wortlos streckte er die Hand aus und legte sie auf ihren gewölbten Bauch. Lynn legte ihre Hand darüber.
»Alex … sag mir, was passiert ist.«
Seine Stimme klang ihm selbst ganz fremd, kratzig und gebrochen, wie ein hohler Nachklang seiner sonstigen Sprechweise.
»Ziggy«, brachte er heraus. »Ziggy ist tot.«
Lynn öffnete den Mund und runzelte ungläubig die Stirn.
»Ziggy?«
Alex räusperte sich. »Es ist wahr«, sagte er. »Es hat gebrannt.
Das Haus. Nachts.«
Lynn zitterte. »Nein. Nicht Ziggy. Das muss ein Irrtum sein.«
»Nein, es ist kein Irrtum. Paul hat es mir gesagt. Er hat angerufen, um es mir zu sagen.«
»Wie ist das möglich? Er und Ziggy, sie schliefen doch im gleichen Bett. Wie kann es Paul gut gehen, und Ziggy ist tot?«
Lynns Stimme war laut, ihre Skepsis hallte im Wintergarten wider.
»Paul war nicht dort. Er hat einen Gastvortrag in Stanford gehalten.« Alex schloss die Augen bei dem Gedanken. »Er flog morgens zurück. Fuhr direkt vom Flughafen nach Hause. Und fand die Feuerwehrleute und die Polizisten, die in dem herumstocherten, was ihr Haus gewesen war.«
An Lynns Wimpern hingen stumme Tränen. »Das muss ja …
oh, mein Gott. Ich kann es nicht fassen.«
Alex verschränkte die Arme vor der Brust. »Man glaubt nicht, dass die Menschen, die man liebt, so verletzlich sind. Gerade sind sie noch da und eine Minute später nicht mehr.«
»Haben sie irgendeine Ahnung, was passiert ist?«
»Sie haben Paul mitgeteilt, es sei noch zu früh, um es feststellen zu können. Aber er sagte, sie hätten ihm einige sehr gezielte Fragen gestellt. Er glaubt, es sieht vielleicht verdächtig aus, dass er gerade weg war, und sie denken, es passe ein bisschen zu gut.«
»Oh Gott, der arme Paul.« Lynn presste die Finger im Schoß aneinander. »Ziggy zu verlieren, das ist ja schon die Hölle. Aber noch dazu die Polizei im Nacken zu haben … Armer, armer Paul.«
»Er hat mich gebeten, es Weird und Mondo zu sagen.« Alex schüttelte den Kopf. »Ich hab’s noch nicht tun können.«
»Ich rufe Mondo an«, sagte Lynn. »Aber später. Schließlich wird mir ja kein anderer zuvorkommen.«
»Nein, ich sollte ihn anrufen. Ich habe Paul gesagt …«
»Er ist mein Bruder. Ich weiß, wie er ist. Aber du wirst dich mit Weird befassen müssen. Ich glaube, ich könnte es jetzt nicht ertragen, wenn er mir sagen würde, dass Jesus mich liebt.«
»Ich weiß. Aber irgendjemand sollte es ihm sagen.« Alex lächelte bitter.
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