Echt easy, Frau Freitag!: Das Allerneueste aus dem Schulalltag
(eigentlich alles, was Ecken und Kanten hat) realistisch darzustellen. In »3-D«, wie die Schüler immer sagen.
Meine Klasse soll eine einfache Häuserschlucht zeichnen. Dazu habe ich ein Arbeitsblatt vorbereitet, auf dem ein Hochhaus und die Andeutung einer Straße zu sehen sind. Damit die Schüler sich vorstellen können, wie das fertige Bild später aussehen kann, hänge ich ein paar sehr gelungene Schülerarbeiten aus den vergangenen Jahren an die Tafel. Im Kunstunterricht habe ich immer mal wieder herausragende Talente unter den Schülern, deren kleine Meisterwerke ich jahrelang aufhebe.
»Guckt mal, so kann das später aussehen«, sage ich und befestige Meleks Bild mit Magneten an der Tafel. Die Schüler betrachten ehrfurchtsvoll Meleks apokalyptisch anmutende Zukunftsvision einer total zugebauten Megastadt.
»Oha«, ruft Taifun, »bin ich Mozart, oder was?«
Mozart? Was hat der jetzt mit dem Bild zu tun? Konnte Mozart nicht nur gut komponieren, sondern auch perspektivisch zeichnen?
»Was Mozart?«, fragt sich jetzt auch Hamid. »Du meinst van Gogh oder Picasso!« Und da sind sie wieder. Van Gogh und Picasso – die einzigen Künstler, die unsere Schüler heute noch kennen. »Ich bin doch nicht Picasso!« ist in den Augen der Schüler ein Synonym für Überforderung und heißt so viel wie: Kann ich nicht, will ich nicht, und wahrscheinlich werde ich mich nicht mal bemühen.
»Das ist für mich keine Kunst!«, teilt jetzt Rosa mit und startet damit eine neue Welle der Entrüstung im Raum.
»Jaaa, wofür brauche ich das?«, fragt nun Volkan. »Ich will Architekt werden.«
Bingo!
»Äh, gerade als Architekt braucht man so was!«, sagt Hamid.
»Wieso, lass mal lieber nackte Frauen zeichnen«, schlägt Volkan vor.
»Was haben jetzt nackte Frauen mit Architektur zu tun?«, frage ich und gucke unauffällig zu Volkan, der skeptisch an die Tafel starrt. Scheinbar löst sich sein Traumberuf gerade in kleine zerplatzende Seifenblasen auf.
Die Schüler sind schon drollig, wie sie so gar keine Ahnung haben, was man in den von ihnen angestrebten Berufen machen muss. Ich habe schon viele Mädchenträume zerstört, indem ich ihnen versichert habe, dass man als Innenarchitektin sehr wohl mit einem Lineal umgehen muss, dass man als Arzthelferin vielleicht auch mal Blut abzunehmen hat und dass es möglich ist, als Koch auch mit Schweinefleisch in Berührung zu kommen.
Miriam kam letztes Jahr völlig entsetzt von der Berufsberatung: »Frau Freitag, wussten Sie, dass man als Kosmetikerin auch Pickel ausquetschen muss? Und die Füße von die Leute, die Hornhaut wegmachen?«
»Ja, wusste ich. Was dachtest du denn, was man als Kosmetikerin macht?«
»Na, schminken.«
Um den Leitbogen betrogen
» Does anybody know the difference between British English and American English? «
»Na, die Engländer sprechen so leichter. Amerikaner versteht man gar nicht.«
» Okay, but what about the words? Do you know any words , die die gleiche Bedeutung haben, die aber in Amerika und in England was anderes heißen?«
Wir quälen uns durch trousers and pants, flat and apartment, bathroom and toilet.
Mich interessiert das alles nicht, weil ich es schon weiß, und die Schüler interessiert es nicht, weil sie es nicht wissen möchten. Aber in der 8. Klasse beschäftigt man sich im Englischunterricht nun mal mit den USA, und daran kommt diese Achte auch nicht vorbei.
Leyla meldet sich: »Frau Freitag, warum ist Englisch Weltsprache und nicht Arabisch?«
Dunkel erinnere ich mich an irgendwas mit Kriegsende. Und stand Deutsch nicht auch mal zur Debatte?
»Wie viele Leute leben denn in Deutschland?«, frage ich.
»Zwei«, sagt Erol.
»Zwei?«
»Äh, zwei Millionen.«
»Achtzig Millionen«, verbessert Tarek.
»Stimmt. Und wie viele Leute leben in den USA, Tarek?«
»Eine Milliarde?«
»Eine MILLIARDE? Scheint mir ein bisschen viel. Es sind so circa 200 Millionen.«
»Aber dann müsste doch Chinesisch die Weltsprache sein«, stellt Erol fest. Ich beauftrage die Klasse, sich beim Geschichtslehrer zu erkundigen. Beim Rauchen frage ich die Kollegen – allerdings lässt sich ihr Halbwissen mit meinem Halbwissen leider auch nicht zu einem Ganzwissen zusammensetzen.
Im Lehrerzimmer fällt mir Fatma und ihr Leitbogen ein.
»Du, Anita, ich sag mal LEITBOGEN, erinnerst du dich?«
Sie rollt die Augen.
»Pass auf, Fatma fragt mich, ob ich ihr einen Leitbogen besorgen könne und Miriam auch. Die wollen nicht mal zur Schule kommen,
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