Echt zauberhaft
ver-
stehen will.«
»Cohen?«
»Ja, Junge?«
»Was ist hier eigentlich los?«
Lord Hong beobachtete die Tee-Zeremonie. Sie nahm drei Stunden in
Anspruch, aber bei einer guten Tasse Tee durfte man eben nichts über-
stürzen.
Außerdem spielte er Schach, und zwar gegen sich selbst. Nur so fand
er einen ebenbürtigen Gegner. Derzeit herrschte ein Patt, da beide Seiten
ihr Spiel auf eine – natürlich brillante – Verteidigungsstrategie aufgebaut hatten.
Manchmal wünschte sich Lord Hong einen Rivalen, der es mit seiner
Klugheit aufnehmen konnte. Anders ausgedrückt: Da Lord Hong tat-
sächlich sehr intelligent war, wünschte er sich einen Rivalen, der es fast mit seiner Klugheit aufnehmen konnte, eine Art strategisches Genie,
dem dann und wann ein fataler Fehler unterlief. Die meisten Leute lang-
weilten ihn mit ihrer Dummheit; kaum jemand plante mehr als ein Dut-
zend Züge im voraus.
Heimtückischer Mord war gewissermaßen Speise und Trank am Hof
von Hunghung. Es war ein Spiel, an dem praktisch al e teilnahmen, und
wie beim Schach kam es auf die richtigen Züge an. Wer den Kaiser er-
mordete, mußte sich schlechte Manieren vorwerfen lassen. Besser und
viel geschickter war es, ihn in eine Position zu bringen, in der man ihn
kontrollieren konnte. Doch Züge auf diesem Niveau brachten erhebliche
Gefahren mit sich. Die Kriegsherrn mochten untereinander noch so
zerstritten sein, sie schlossen sich sofort zusammen, wenn sie befürchte-
ten, daß jemand zu weit aufstieg. Und Lord Hong war weit aufgestiegen, indem er al e anderen folgendes glauben ließ: Sie selbst waren die eigent-lichen Kandidaten für den Thron des Kaisers, aber Lord Hong war eine
bessere Alternative als alle sonst.
Sie glaubten, er hätte es auf die kaiserliche Perle abgesehen. Das Wis-
sen darum amüsierte Lord Hong.
Er sah vom Schachbrett auf und begegnete dem Blick der jungen Frau
am Teetisch. Sie errötete und drehte den Kopf weg.
Die Tür öffnete sich. Einer von Hongs Männern kroch auf Knien her-
ein.
»Ja?« fragte der Lord.
»Äh… O Lord…«
Lord Hong seufzte. So begannen die Leute nie, wenn sie gute Neuig-
keiten brachten.
»Was ist geschehen?«
»Der sogenannte Große Zauberer ist eingetroffen, o Lord. In den Ber-
gen. Auf einem Winddrachen. So heißt es jedenfal s«, fügte der Kurier
hastig hinzu, als ihm einfiel, wie wenig der Lord von Aberglauben hielt.
»Gut. Aber? Ich nehme an, es gibt ein ›aber‹, oder?«
»Äh… ein Bel ender Hund ist verlorengegangen. Von der neuen Sorte,
die auf deinen Befehl hin getestet werden sol te. Wir wissen nicht genau,
wie… Ich meine, wir glauben, daß Hauptmann Drei Hohe Bäume in
einen Hinterhalt geriet… Die Informationen sind nicht ganz klar… An-
geblich hat der Große Zauberer den Hund mit Magie verschwinden las-
sen…« Der Kurier duckte sich noch tiefer.
Lord Hong seufzte erneut. Magie. Sie war im Kaiserreich in Ungnade
gefallen und wurde nur noch für ganz alltägliche Dinge verwendet. Sie
galt als unkultiviert. Magie legte Macht in die Hände von Leuten, die nicht einmal ein anständiges Gedicht schreiben konnten, um ihr Leben zu
retten.
Hong glaubte mehr an den Zufall als an Magie.
»Das ist sehr ärgerlich«, sagte er, stand auf und nahm vorsichtig ein
Schwert aus dem Gestel . Es war lang, krumm und vom besten
Schwertmacher im ganzen Kaiserreich geschmiedet – von Lord Hong.
Angeblich dauerte es zwanzig Jahre, um die Kunst zu erlernen, deshalb
hatte er sich ein wenig angestrengt. Nach drei Wochen beherrschte er
alle Feinheiten. Die Leute konzentrierten sich nicht richtig. Das war ihr Problem…
Der Kurier versuchte vergeblich, den Kopf einzuziehen.
»Ist der zuständige Offizier hingerichtet worden?« fragte Lord Hong.
Der Kurier hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Er begriff, daß ihm
nichts anderes übrigblieb, als die Wahrheit zu sagen.
»Ja«, piepste er.
Lord Hong schlug zu. Etwas raschelte wie fallende Seide, und es folgte
ein dumpfes Pochen, als fiele eine Kokosnuß auf den Boden.
Der Kurier öffnete die Augen. Er konzentrierte sich auf seine Halsre-
gion und wagte nicht, sich zu rühren, aus Furcht davor, plötzlich ein
ganzes Stück kürzer zu werden. Man erzählte schreckliche Geschichten
von Lord Hongs Schwertern.
»Steh endlich auf«, sagte Hong. Er wischte das Schwert ab und schob
es ins Gestell zurück. Dann beugte er sich vor und holte ein schwarzes
Fläschchen unter dem Umhang des
Weitere Kostenlose Bücher