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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Reitz
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zurücknehmen, um nicht nach vorne zu stürmen.
    Leise schlugen Drumsticks aneinander. Vier Mal.
    Tack.
    Tack.
    Tack.
    Tack.
    Plötzlich brach die Hölle los: Die Bühne wurde angestrahlt, die gesamte Band war zu sehen. Nina stand mit ihrer schwarzen Stratocaster in der Mitte und spielte die knallharten Riffe des ersten Songs. Die Meute sprang auf und ab und im Publikum bildete sich rasend schnell ein Pogocircle. Tom juckte es in den Füßen. Am liebsten wäre er mit in die Menge gesprungen, aber das hätte geheißen, auf Ninas Anblick verzichten zu müssen.
    Ihre Haare waren wieder blond und zu einem frechen Zopf zusammengebunden. Eine Strähne hing in ihrem Gesicht und tanzte vor ihren Lippen. Sie trug ein weißes Feinripp-Hemdchen und er entdeckte ein neues Tattoo auf ihrer Schulter. Was genau es war, konnte er nicht erkennen, nur die Farben leuchteten intensiv in diversen Lilatönen. Ihre Wangen glühten. Sie liebte das, was sie tat und jeder hier im Club konnte es sehen und spüren.
    Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie lange es her war, dass er ihre Singstimme live gehört hatte. Und sie hatte nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Leise sang er mit. Er schloss die Augen, blendete alles aus, nur ihre Stimme nicht. Sein dunkler Bariton begleitete sie und außer ihm konnte niemand im Club hören, wie wunderbar ihre Stimmen miteinander harmonierten. Es war eine Art Verbundenheit und Intimität, die den Zauber von damals zurückbrachte.
    Der Song endete und Nina begrüßte alle mit einem lauten »Hey, Folks!«. Als Antwort erhielt sie tosenden Applaus. Sie war beliebt bei den Leuten. Eine Gruppe weiter hinten begann, im straffen Stakkato ihren Namen zu rufen. Sie strahlte und ließ ihren Blick durch den Club streifen. Dann fiel er auf Tom. Schnell hob er die Hand zum Gruß. Anstatt ihn zu erwidern, brach sie den Blickkontakt ab und sagte den nächsten Song an. Ihm wurde gewahr, was er von Anfang an gewusst hatte: Er hätte nicht herkommen dürfen. Was hatte er sich dabei nur gedacht? Wieso sollte sich nach all den Jahren etwas an ihren Gefühlen für ihn geändert haben? Er war ein Abenteuer für sie, mehr nicht.
    Mit verklärtem Blick nahm er wahr, wie Nina einen großgewachsenen, jungen Mann in Augenschein nahm, der rechts direkt neben der Bühne stand. Soweit Tom erkennen konnte, hatte er grünes oder vielleicht auch blaues langes Haar. Der Mann schwang den Kopf und sammelte seine Pracht auf einer Seite, während die andere Kopfhälfte kahl rasiert war.
    Nina gab sich wieder voll der Musik hin und ließ sich vom Publikum mitreißen. Die Band trieb die Stimmung im Club höher und höher. Es glich einem Dampfkessel und niemand war mehr bereit, sich zurückzuhalten.
    Tom beobachtete wieder den Mann mit dem halb rasierten Kopf. Seine Strähnen flogen bei jedem Takt durch die Luft. Tom beneidete ihn um diese Haarlänge, aber etwas ganz Anderes stieß ihm sauer auf. Immer wieder suchte Nina den Blickkontakt zu diesem Mann. Sie schienen sich zu kennen, zumindest deuteten ihre Gestiken darauf hin. Bei einem langsameren Stück ließ sie ihn nicht aus den Augen. Es kam Tom beinah so vor, als würde sie bewusst vermeiden, in seine Richtung zu sehen. Nur warum, wollte sich ihm einfach nicht erschließen.
    Als der letzte Akkord verklungen war, verließen Lolli, der Drummer und der Bassist grinsend die Bühne und ließen ihre Frontfrau allein zurück. Ganz Profi machte sie einen Witz, um das Publikum bei Laune zu halten. Doch ihre Augen, die hektisch zum Bühnenrand schielten, verrieten, wie überrascht sie aufgrund des Abgangs ihrer Bandmitglieder war.
    Plötzlich tauchten die Jungs mit einer Torte wieder auf und stimmten ein »Happy Birthday« an. Alle Menschen im Raum sangen mit und Ninas Wangen wurden puterrot. Diesmal sah sie in seine Richtung und lächelte. Sie drehte ihren Kopf, blickte ihm direkt in die Augen und strahlte ihn an.
    Toms Herz verkrampfte sich vor Sehnsucht. In seinem Bauch kribbelte es, so als ob eine Herde Tausendfüßler in ihm einen Stepptanz vollführte. Und doch war er so überrascht, dass er es nicht mal fertigbrachte, zurückzulächeln. Es dauerte nur Sekunden, dann verschwand ihr Lachen. Tom fasste sich und hob erneut seine Hand zum Gruß. Doch es war bereits zu spät: Nina hatte sich abgewendet und ihre Aufmerksamkeit galt nun wieder dem halbglatzigen Punk auf der anderen Bühnenseite.
     
    Nur langsam leerte sich das Underground. Tom hatte sich noch ein Bier bestellt und stand unschlüssig an

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