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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Reitz
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gern noch für ein bisschen Sightseeing genutzt, aber er war so nervös gewesen, dass er sich wie ein Verrückter drei Stunden mit seinem Aussehen beschäftigt hatte. Auch jetzt war er wieder unsicher. Er fuhr sich durch die Haare und strich die Strähnen aus seinem Gesicht nach hinten. Viel zu viel Haargel hatte er sich reingeschmiert. Mist!
    Ob sie ihn überhaupt noch mochte mit dieser kurzen Frisur? Schon eine ganze Weile war sein Haar so kurz, weil er Katrins Gemecker nicht mehr ertragen hatte. Jetzt bereute er seine Entscheidung. Nina hatte es geliebt, mit den Händen immer wieder durch seine Mähne zu fahren. Jetzt waren sie gerade noch lang genug, um sie ein bisschen zu verwuscheln.
    Tom bezahlte sein Bier und zog sich auf eine kleine Erhöhung in der Ecke zurück. Auf der Bühne herrschte der typische rege Betrieb vor einem Auftritt. Es wurden letzte Kabel verlegt, Instrumente gestimmt und in Position gebracht. Einen der Männer auf der Bühne konnte Tom als Lolli identifizieren. Sein Blick richtete sich auf Toms Ecke. Hatte er ihn erkannt? Lolli wirkte irritiert, schüttelte aber dann den Kopf.
    Erst jetzt bemerkte Tom, dass er aufgehört hatte zu atmen. Er war so aufgeregt, dass er am liebsten die Flucht ergreifen wollte. Warum zur Hölle hatte er sich nicht vorher bei ihr gemeldet? Aber nein, er war ja Tom Nowak, der große Romantiker, der sie gern überraschen wollte. Auch wenn sein Verstand dagegen anschrie, sein Herz sagte ihm noch immer, dass zwischen ihnen mehr war als ihr Verlangen nach Sex. Nachdem sie damals fluchtartig seine Wohnung verlassen hatte, hatte er wochenlang mit sich selbst gehadert. Dann hatte er beschlossen, ihr Glauben zu schenken und ihre Beziehung als das zu sehen, was sie war: eine reine Sexfreundschaft.
    Doch ihr letztes Treffen hatte ihn wieder zweifeln lassen. Wenn es ihr wirklich immer nur um das Eine ging, warum war sie dann geflohen, bevor er sie zum Höhepunkt hatte treiben können?
    In den letzten drei Jahren hatte er sich mehr als einmal diese Frage gestellt und je näher dieser eine Tag gerückt war, desto mehr hatte an ihm die Ungewissheit genagt. Jetzt musste er es endlich wissen: War da mehr?
    Instinktiv befühlte er die Innentasche seines Mantels, den er über einem Arm trug. Das Geschenk war noch da. Auch wenn es nur ein paar Gramm wog, so fühlte es sich für ihn an wie eine Tonne. Und genauso schwer lastete die Eisenkette, die sich immer mehr um sein Herz wand.
    Ein lautes Geschepper riss ihn aus seinen Gedanken. Lolli hatte soeben das Idiophon umfallen lassen und sein Blick zu Tom hoch verriet diesem, dass er ihn jetzt doch erkannt hatte.
    Tom hob seinen Zeigefinger und legte ihn an seine Lippen. Lolli nickte verstehend und verschwand hinter der Bühne, nachdem er das Becken wieder aufgerichtet hatte.
    Ganz langsam ließ Tom seinen Blick durch den Raum gleiten: Vor der Bühne drängten sich die Menschen zu einer großen Traube. Die Stimmung war gut. Viele klatschten schon im Rhythmus und riefen immer wieder den Namen der Band. Nina hatte es geschafft. Auch wenn diese Location klein war, hier in Londons Musikszene hatte sich Heavy Light Weight bereits einen Namen erspielt und sie standen kurz davor, einen Plattenvertrag bei einem Majorlabel zu unterzeichnen.
    Ein johlender Applaus ging durch den Club. Eines der Bandmitglieder hatte seinen Bass nachgestimmt und winkte dem Publikum zu, bevor es wieder verschwand.
    Das Publikum begann zu pfeifen und forderte die gesamte Band auf der Bühne. Die Anwesenden stampften, klatschen und riefen nach Nina. Tom freute sich für sie. Es war ihr Traum, den sie sich verwirklicht hatte und doch ahnte er, welchen Preis sie dafür gezahlt hatte.
    Das Licht im Club ging aus und die Spots wurden auf die Bühne gerichtet. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis es losgehen sollte. Das Klatschen, Trampeln und Pfeifen wurde lauter und ungeduldiger. Und dann endlich ließ eine E-Gitarre den Boden erbeben. Lolli betrat erneut die Bühne und spielte eine eingängige Melodie auf seiner Gitarre. Das Publikum rastete fast aus – jeder kannte den Song. Es war der bisher erfolgreichste der Band. Alle im Club hoben die Arme und lauschten gespannt, als die erste Textzeile gesungen wurde. Aber dann wurde es wieder still, die Spotlights erloschen und es war stockdunkel im Raum. Durch indirektes Licht im Hintergrund konnte man jedoch Schatten auf der Bühne erkennen.
    Tom spürte, wie sein Herz vor Aufregung schneller schlug. Er musste sich

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