Ecstasy: Drei Romanzen mit chemischen Zusätzen (German Edition)
war, und der wurde zum Scheißritter geschlagen, die alte Drecksau. Er war der Hauptschuldige, aber alle beschützten ihn. Er hat das meinem Mädchen, meiner Samantha angetan, und die schlagen ihn zum Scheißritter für seine Verdienste um die Wirtschaft. Da muss doch einer mal für’n bisschen Gerechtigkeit sorgen. Darf man gar nicht drüber nachdenken.
Also sagte ich ihr einfach, ich würd’s machen.
Anschließend gingen Samantha und ich ins Bett und liebten uns. Es war wirklich wunderschön, nicht wie mit der Schlampe. Ich konnte sogar richtig, war einfach n Supergefühl. Und als ich fertig war, sah ich nur noch ihr Gesicht, ihr schönes Gesicht, und nicht das von der verfickten Millwall-Schwuchtel.
Orgreave, 1984
Die Bezeichnung »Terroristin« klang für Samanthas Ohren ziemlich lächerlich. Internationale Terroristin klang noch verrückter. Samantha Worthington, die in einem Heim außerhalb von Wolverhampton aufgewachsen und ein einziges Mal im Ausland gewesen war, in Deutschland. Und dann war da noch die Reise nach Wales gewesen. Zwei Reisen, bei denen die Möglichkeit, erwischt zu werden, immer gegenwärtig gewesen war. Zwei Gelegenheiten, bei denen sie sich lebendiger und befreiter gefühlt hatte als je zuvor, und die sie für die nächste motivierten.– So funktioniert das nicht, erklärte ihr Andreas,– Wir müssen erst mal längere Zeit abtauchen. Dann tauchen wir wieder auf und schlagen zu. Und danach heißt es wieder abtauchen.
Ein Teil von Samantha hatte mehr getan, als nur die Möglichkeit, erwischt zu werden, zu sehen; in einem Winkel ihres Verstands hatte sie genau das als ihre Bestimmung akzeptiert. Ihre Geschichte würde publik werden, und wenn ihre Aktionen auch Abscheu erregen würden, so würde es doch auch Verständnis geben. Es würde die ganze Sache polarisieren, und genau das war nötig. Sie wusste, dass sie entweder als kaltblütige Psychopathin, als »Rote Sam, Internationale Terroristin«, hingestellt werden würde oder aber als dummes, unschuldiges junges Mädchen, das von finsteren Hintermännern benutzt worden war. Böse Hexe oder leichtgläubiger Unschuldsengel: zwar beides Blödsinn, aber so würd’s kommen. Welche Rolle lag ihr besser? Die verschiedenen Vorstellungen spukten ihr immer wieder im Kopf herum, während sie in Gedanken beide Rollen einübte.
Samantha wusste, dass die Wahrheit über sie unendlich viel komplizierter war. Sie sah die Kraft, die sie antrieb– Rache, und die, die sie zog– Liebe, und folgerte, dass ihr keine Wahl blieb. Sie war eine Gefangene, aber eine willige. Andreas hatte eine Leichtigkeit an sich, die darauf hindeutete, dass er all dies vergessen könnte, wenn erst einige Ungerechtigkeiten aus der Welt geschafft waren. Es war nur eine vage Möglichkeit, und im Grunde wusste Samantha im Innersten, dass sie unwahrscheinlich war. Hatte er nicht schon davon geredet, dass man von Einzelschicksalen übergehen müsse zum Gesamtkomplex der staatlichen Unterdrückung? Ja, es war nur eine vage Möglichkeit, aber solange sie existierte, würde sie bei ihm bleiben.
Andreas seinerseits hatte begriffen, dass Disziplin alles war. Disziplin und Verschwiegenheit. Der Unterschied zwischen ihnen und den Leuten, die betont radikal oder revolutionär auftraten, lag in ihrer Unauffälligkeit. Für den Rest der Welt waren sie normale Bürger, keine Politfreaks. Samantha hatte diese Maske nur einmal fallen lassen.
Einige ihrer Londoner Freunde gehörten zu einem Miners’ Support Committee und überredeten sie, mit nach Orgreave zu fahren. Der Anblick der eingekesselten Angehörigen der Arbeiterklasse im erbitterten Kampf mit den Bütteln des Systems war zu viel. Sie hatte sich in die vorderste Front vorgeschlängelt, wo die Streikposten gegen den Polizeikordon drängten, der die Streikbrecher schützte. Sie konnte nicht anders, sie musste handeln.
Der junge Schreibtischhengst von der Metropolitan Police, den man mit der Aussicht auf eine nette, durch die Überstunden im Dienste seiner staatlichen Dienstherren besonders üppig ausfallende Lohntüte aus London abkommandiert hatte, konnte es nicht fassen, dass dieses Mädchen ohne Arme ihm gerade einen brutalen Tritt in die Eier versetzt hatte. Während er mit tränenden Augen nach Luft rang, beobachtete er, wie sie im Mob untertauchte.
Eine in einem weißen Lieferwagen versteckt angebrachte Kamera hatte Samanthas Aktion und ihr Verschwinden ebenfalls registriert.
London, 1990
Bruce Sturgess saß in seinem
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