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Ecstasy: Drei Romanzen mit chemischen Zusätzen (German Edition)

Ecstasy: Drei Romanzen mit chemischen Zusätzen (German Edition)

Titel: Ecstasy: Drei Romanzen mit chemischen Zusätzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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großen Garten am Themseufer bei Richmond im Sessel. Es war ein heißer, heiterer Sommertag, an dem Sturgess träge auf den dahinströmenden Fluß hinausblickte. Das Signalhorn eines vorbeifahrenden Boots ertönte, und einige Passagiere an Deck winkten ihm zu, als es vorbeifuhr. Da er seine Brille nicht trug, konnte Sturgess das Boot nicht genau erkennen, geschweige denn die Passagiere, aber er winkte faul der Versammlung von lächelnden Gesichtern und Sonnenbrillen zu und fühlte sich eins mit seinem kleinen Teil der Welt. Dann zog er aus einem Grund, über den er nicht näher nachdenken wollte, einen Zettel aus seiner Tasche. Darauf stand in krakeliger Handschrift:
    MEIN GEHEIMNISVOLLER FREMDER, BITTE RUF MICH AN. JONATHAN .
    Dann folgte eine Nummer mit einem großen X daneben. Diese erbärmliche kleine Gossenratte. Dachte er wirklich, dass er, Bruce Sturgess, Sir Bruce Sturgess, sich mit einem geldgeilen kleinen Stricher von der Straße kompromittieren würde? Dort gab es genügend andere verkommene Zweidollarjungs mit dem starren Ausdruck gekünstelter Unschuld im Gesicht, den er so liebte. Nein, dachte Sturgess, es waren genug Filetstücke im Angebot, unter denen man wählen konnte. Was er wirklich brauchte, war jemand, auf dessen Diskretion er sich verlassen konnte. Einem lustvollen Anflug von Gewaltbereitschaft nachgebend, zerknüllte er den Zettel in seiner Hand. Nachdem dieser Anflug verebbt war, folgte ein flüchtiges Panikgefühl, woraufhin er das Papier wieder glatt strich und in seine Tasche zurücksteckte. Bruce Sturgess brachte es nicht über sich, den Zettel wegzuwerfen. Stattdessen lehnte er sich wieder gemütlich zurück, um den Booten nachzuschauen, die träge die Themse hinunterschipperten.
    Sturgess begann über sein bisheriges Leben nachzusinnen, etwas, wozu er immer häufiger neigte, seit er in den Ruhestand getreten war. Im Allgemeinen zog er daraus keine geringe Befriedigung. Die angenehme Erinnerung an die Erhebung in den Ritterstand war noch nicht verblasst. Es war angenehm, Sir Bruce genannt zu werden– nicht nur wegen der besten Tische im Restaurant, den besten Hotelsuiten, den Aufsichtsratsposten und all den anderen angenehmen Begleiterscheinungen, für ihn klang es einfach gut– eine ästhetische Wohltat für sein Ohr.– Sir Bruce, sprach er leise vor sich hin. Das tat er häufig. Und überhaupt, wenn jemand es verdient hatte, dann er, das sagten alle. Er war die Karriereleiter in der Firma beharrlich hinaufgeklettert, war von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung hinübergewechselt ins Management und dann in den Vorstand von United Pharmacology, jenem Mischkonzern für Pharmazeutika, Nahrungsmittel und alkoholische Getränke. Tenazadrin war zweifellos ein wunder Punkt. Köpfe waren anschließend gerollt, aber für Bruce Sturgess war es nur ein weiteres Firmenfiasko, aus dem er sich wieder herausgewunden hatte. Es gab immer jemanden in untergeordneter Position und mit weniger Cleverness, der die Suppe auslöffeln musste, und gegenüber Bruce Sturgess befanden sich viele in dieser Position. Sein kaltblütiges Vorgehen in diesem Fall hatte seinen Ruf als aalglatter Taktiker nur gefestigt.
    Die Tragödie hatte für ihn rein finanzielle Dimensionen: Geld, das der Firma verloren ging. Sturgess weigerte sich, die Rührstorys in den Zeitungen oder die Fernsehbilder von Tenazadrinkindern zur Kenntnis zu nehmen. Fehlende Gliedmaßen und Missbildungen drangen nur selten in sein Denken ein. Es hatte eine Zeit gegeben, da war das anders gewesen: Während seiner Zeit in New York, wo die verführerische Anonymität des Lebens in dieser Stadt ihn überwältigt hatte, war er gezwungen gewesen, sich mit einer Seite seiner Sexualität auseinanderzusetzen, die er seit seiner Schulzeit verdrängt hatte. Damals hatte er begriffen, was es bedeutete, anders zu sein, und eine Zeit lang hatte er sich beängstigend gut in andere hineinversetzen können. Glücklicherweise hatte sich das gelegt.
    Er erinnerte sich noch an das erste Mal, als seine Tenazadrin-Altlast mit Macht in sein Leben eingebrochen war. Er hatte mit seinen beiden kleinen Söhnen auf dem Richmond Common Cricket spielen wollen. Die Stäbe waren bereits aufgestellt, und Sturgess war gerade am Schlag, als sein Blick auf etwas fiel. In einiger Entfernung sah er ein kleines Kind ohne Beine. Der Junge schob sich mithilfe seiner Arme auf einer Art Rollbrett, etwa wie ein Skateboard, voran. Es war pervers, obszön. Für einen kurzen Augenblick

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