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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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nach dem Hörer griff, weil er glaubte, es wäre Diane. Aber es war nicht Diane, und auch das ganze Wochenende über war es nicht Diane, und obwohl er weiterhin jeden Moment einen Anruf von ihr fürchtete, war diese Sorge bis zum Montag Teil einer größeren, allgemeinen Untergangsstimmung geworden, die er angesichts der ganzen Geschichte empfand. Wie viel mehr konnte er noch ertragen?
    Am Montag telefonierte Walter mit einem Geburtshelfer in Anacortes und einer Adoptionsagentur in Bellingham wegen »einer delikaten Situation, unser Au-pair betreffend«. Am Mittwoch nahm er sich einen Tag frei und fuhr mit Blumen, Donuts, Zeitschriften und einem gebrauchten Fernseher nach San Juan Island. Der Empfang in Cattle Point war unerwartet freundlich. Um nicht den Eindruck zu erwecken, er wolle gleich mit der nächsten Fähre wieder nach Hause, und um Diane darin zu bestärken, dass er ein guter Kerl sei, röstete er Popcorn in der Pfanne und sah sich mit ihr die Serie Wie das Leben so spielt an. »Ich komme mir vor wie im Gefängnis«, sagte Diane. »Es gibt nichts zu tun. Ich sitze nur rum.«
    »Mach einen Spaziergang«, sagte Walter. »Bewegung tut gut.«
    Das nächste Mal kam Walter auf die Insel, um Diane zu einem Termin beim Geburtshelfer zu bringen. Eine Stunde Überfahrt, um sie am Haus abzuholen, eine Stunde zurück zum Festland, mit einem vor Wut kochenden Teenager als Begleitung, dreißig Minuten beim Arzt in Anacortes, ein hastig hinuntergeschlungener Hot Dog und ein Eis auf einem Parkplatz, wieder auf die Fähre, zurück nach Cattle Point, Diane in ihrem Refugium abgesetzt und für Walter dann noch einmal die Rückkehr zum Festland und der lange Weg nach Hause.
    In der darauffolgenden Woche wiederholte sich die ganze Prozedur für die Fahrt zur Adoptionsagentur, damit Diane die Einwilligungserklärung unterschreiben und bestätigen konnte, den Vater des Kindes nicht zu kennen, obwohl der Vater – allerdings hatte Walter immer noch seine Zweifel – gleich danebensaß und sich als ihre Unterstützung ausgab. Walter war dankbar, dass die zuständige Frau so tat, als hätte sie dies nicht schon hundertmal gesehen – ein schwangeres Mädchen in Begleitung eines älteren Mannes, der als barmherziger Samariter auftrat. Wenig dankbar war er hingegen, als sie Diane für die kommende Woche zur Aufnahme ihres Profils einbestellte. Dies war notwendig, um für den Säugling eine Familie zu finden, in deren Erscheinungsbild er passte, und so zu verhindern, dass Uneingeweihte – ganz besonders das Kind selbst, wenn es zu einem Mann oder einer Frau heranwuchs – sich beispielsweise fragten, wie es sein konnte, dass niemand sonst in der Familie Linkshänder war und schielte. Eine Woche später stand also erneut die zweifache ermüdende Rundfahrt an. Die Aufnahme ihres Profils war erniedrigend, und obwohl Diane die Befragung mechanisch über sich ergehen ließ, war sie nachher außer sich über die gefühllose Inventarisierung ihres Äußeren. Sie schäumte vor Scham und Wut, und Walter fürchtete, dass ihre Bereitwilligkeit weiter schwand. »Wie ein Stück Fleisch«, sagte sie. »Es ist demütigend.«
    Dabei stand der langsam sich rundende Bauch ihr gut. Beide logen weiter gegenüber allen Beteiligten, damit sie ihre Farce fortsetzen und ohne Hindernisse zu Ende bringen konnten. Lydia, die ihre innere Batterie wieder voll aufgeladen hatte, war irritiert über Walters häufige »Abwesenheit«. Er erklärte ihr, Stress im Büro, eine Umwälzung bei Piersall-Crane (»Jemand ist gefeuert worden, und irgendwer da obenhat beschlossen, dessen Arbeit jemand anderem aufzuhalsen. Und nun rate mal, wem?«), sei der Grund, warum er momentan so wenig Zeit für die Familie habe. Dann spielte er mit den Kindern, um sein Bedauern zu demonstrieren. In der Zwischenzeit veränderte sich Dianes Äußeres. Ihre Teenager-Schwangerschaft war zweifellos reizend, aber sie hatte Flecken im Gesicht und ein mächtiges Doppelkinn.
    Was sollte er tun? Wie konnte er sie bei der Stange halten? Wie zu dem Punkt gelangen, an dem die ganze Sache ausgestanden war und er sein Leben ungehindert fortsetzen konnte? Weil ihm nichts Besseres einfiel, kaufte er Diane in Anacortes erneut ein großes Eis, doch machte ihn der Anblick des Mädchens, dem das Schicksal so übel mitgespielt hatte und das jetzt mit kindlichem Eifer sein Eis schleckte, damit nichts auf den Boden tropfte, nur noch trauriger. »Ich weiß, wie schwer es ist«, sagte er, »aber glaube mir,

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