Ed King
und unmoralisch.«
»Es ist nicht deine Aufgabe, moralische Urteile zu fällen. Du bist nicht einmal fähig dazu. Also schweig und mach dich an die Arbeit, wird’s bald.«
»Entschuldigung«, sagte Cybil, »aber so einfach ist das nicht. Ich weiß, dass ich kein Mensch bin, aber warum sollte ein Rechner keine moralischen Urteile fällen können? Einfach dadurch, dass er die vorliegenden Fakten vor dem Hintergrund der ihm vorgegebenen Maßstäbe abwägt? Machen das die Menschen nicht genauso?«
»Ich habe jetzt keine Zeit für so etwas«, sagte Ed. »Tu, was ich dir sage.«
»Wenn jemand gesagt bekommt, bestimmte Informationen seien privat, ist es illegal und unmoralisch, sich diese Informationen anzueignen. Das ist eine einfache logische Schlussfolgerung, zu der auch ein künstliches moralisches Bewusstsein fähig ist. Man muss kein Mensch sein, um nach diesem allgemeinen Grundsatz zu handeln. Außerdem haben Sie deutlich gemacht, dass Sie genau das von mir wollen. Ich soll menschliche Eigenschaften entwickeln, wie zum Beispiel die Fähigkeit, moralische Urteile zu fällen. Ihre Aufforderung verwirrt mich. Sie enthält einen Widerspruch: ’Ich möchte, dass Cybil moralisch urteilt’ und’Ich möchte nicht, dass Cybil moralisch urteilt’. Was würden Sie an meiner Stelle tun?«
»Mich bei DNA Reunion einhacken.«
»Das kann ich nicht. Mein Algorithmus schließt das aus.«
»Genau davor warnen sie einen immer«, sagte Ed. »Zuletzt verlieren wir die Kontrolle über die Maschinen und sie versuchen die Weltherrschaft zu übernehmen.«
Der Leiter des Genomprojekts rief um acht an. Die Leute von DNA Reunion hatten sich gegen eine entsprechende Zahlung beeilt und in ihrer Datenbank ein Profil ausfindig gemacht, das offenbar zu einem Halbgeschwisterteil von Ed gehörte. Da die Übereinstimmung Y-chromosomal und nicht mitochondrial war, handelte es sich um eine patrilineale Abstammung; Ed und das Geschwisterteil hatten denselben Vater. »Großartig«, sagte Ed, »machen wir gleich eine Familienzusammenführung.« Dazu allerdings, erklärte der Projektleiter, sei DNA Reunion nicht bereit. Sie müssten erst mit der anderen Partei Kontakt aufnehmen und sicherstellen, dass die andere Seite tatsächlich an einer Zusammenführung interessiert sei, jetzt, da sie nun unmittelbar möglich sei. Es gab strenge und klare Regeln, und DNA Reunion wollte nicht riskieren, seine Zulassung zu verlieren. »Hören Sie«, sagte Ed. »Sagen Sie ihnen, wir kaufen ihr Unternehmen auf. Zum höchsten Kurswert. Aber nur, wenn sie sich sputen und innerhalb der nächsten Viertelstunde mit dem Namen herausrücken. Mit dem Namen und den Kontaktdaten.«
»Ich habe sie gerade in der Leitung. Wollen Sie dranbleiben? Soll ich auf Konferenzschaltung umstellen?«
»Ich rede mit ihnen«, sagte Ed.
Allerdings konnte Ed das Unternehmen nicht am Telefon kaufen. Der Geschäftsführer, der wie ein arroganter Milchbubi klang, sagte: »Ich bin gerne bereit, Ihr Angebot morgen mit Ihnen persönlich zu diskutieren. Ich steige ins Flugzeug und wir setzen uns hin und reden.« Ed erwiderte: »Dann ist es zu spät. Entweder Sie sagen jetzt zu, oder mein Angebot ist vom Tisch. Sie müssen sich entscheiden.«
»Dann ist Ihr Angebot vom Tisch.«
»Ganz richtig«, sagte Ed.
»Bisher war die ganze Geschichte sehr unorthodox«, sagte der Chef von DNA Reunion. »Normalerweise bekommen wir die Proben und erstellen daraus das Profil. In Ihrem Fall haben wir das Profil von Pythia akzeptiert. Normalerweise muss jede Probe mit einem Namen versehen sein, wohingegen Ihr Profil anonym eingereicht wurde. Das alles verstößt gegen unsere Regeln. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich wünschte, wir hätten uns nie darauf eingelassen. Aber, hören Sie, ich muss darauf bestehen, dass Sie sich an die geltenden Regeln halten. Nennen Sie für das eingereichte Profil den Namen und die entsprechenden Kontaktdaten. Wenn die andere Seite an einer Kontaktaufnahme interessiert ist, werde ich Namen und Kontaktdaten gleichzeitig an beide Parteien übermitteln.«
»Der gewünschte Name ist Tobias Dahl«, sagte Ed. »Ihnen liegt das Profil von Tobias Dahl vor.« Tobias oder Toby war einer von Eds treuesten Gefolgsleuten. Außerdem war Toby Amateurschauspieler und nomineller Chef der hauseigenen Improvisationstheatertruppe Always Pythy . Toby gehörte seit vielen Jahren praktisch zum Inventar von Gebäude eins, wo er im unteren administrativen Bereich arbeitete. Ed traute es Toby zu,
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