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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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erfahren. Es gab keinen Grund, seinen Plan in einer so drängenden Situation aufzugeben. Den Vater getötet und die Mutter geheiratet? Er musste Gewissheit haben. Entschlossen nahm er im Cockpit Platz und gab die Flugdaten ein, dann blickte er auf und sah eine Schar Flugzeugmechaniker, die ihn vom Eingang des Hangars aus ungläubig anstarrten. Ed hielt ihnen demonstrativ beide Daumen entgegen, setzte sich die Kopfhörer auf und drehte das Bugradsteuer. »Boeing ground«, sagte er, wie er es von Guido gelernt hatte, »this is 555 Echo Kilo at Pythia Hangar One, ready to taxi. Zielort YLW« – YLW war Kelowna in British Columbia. »Im Augenblick«, fügte er der Glaubwürdigkeit halber hinzu, »ist es dort trocken und 28 Grad Celsius warm, verstanden?«
    Die Bodenkontrolle wies ihm gereizt Startbahn Eins Drei Ost zu. Als der Tower ihm die Freigabe zum Start über eine Piste gab, die aussah wie ein erhöhter Damm in einem See, schluckte Ed einmal, schob den Gashebel nach vorn, hielt die Maschine mit der linken Hand am Tiller auf Kurs, bis er bei etwa 80 Knoten losließ und zitternd mit beiden Händen das Steuerhorn umklammerte. Es war ihm nicht ganz geheuer, aber die Maschine beschleunigte problemlos. »Auf geht’s«, dachte er und hob vom Boden ab.
    Es ruckelte ein paarmal, als er die tief hängenden Regenwolken durchflog, aber das war nicht weiter beunruhigend. Ed zog das Fahrwerk ein, rieb sich das Kinn und starrte auf die beleuchteten Instrumente, die das Flugzeug auf fünfzehntausend Meter Höhe brachten und es Kurs auf Carlisle, Cumbria, Großbritannien, nehmen ließen. Kurs: 34 Grad. Fluggeschwindigkeit: 460 Knoten. Entfernung: 4071 nautische Meilen. Flugzeit: 8 Stunden und 13 Minuten. Die Sicht war, wie er fand, phantastisch, weil sich der Himmel in einem grandiosen Panorama vor ihm ausbreitete. Der Tower teilte ihm mit, er solle eine Kurskorrektur vornehmen – 37.25 Grad nach Kelowna. Er folgte der Anweisung, wartete zwanzig Minuten, schaltete den Transponder ab und nahm erneut Kurs auf Carlisle. Jetzt war er nicht mehr als ein leuchtender Punkt auf fernen Radarschirmen, den man nur sah, wenn man genau hinschaute. Über ihm waren nur noch der Mond und die Sterne; unter ihm nichts als Wolken.
    Sicher in der Luft und stolz auf den gelungenen Start, rief er Guido über das Satellitentelefon an. »Ich bin euch auf den Fersen«, sagte er. »Sag Diane, dass ich dringend mit ihr reden muss. Ich …«
    »Ich dachte, ich wäre gefeuert, Boss?«
    »Noch nicht«, erwiderte Ed. »Erst wenn du in Carlisle am Boden bist. Im Moment bezahle ich dich noch für deine Dienste. Und deshalb hast du dich allein nach mir zu richten, Guido. Mein Wunsch sei dir Befehl.«
    »Roger«, antwortete Guido. »Sie wissen, was das heißt? ›Roger‹ bedeutet, ich habe verstanden. Wohlgemerkt, verstanden, nichts weiter.«
    »Halt den Mund, Guido. Ich brauche keine Belehrungen. Ich muss nur wissen, was zum Teufel hier vorgeht. Was soll das Ganze? Und um das zu erfahren, muss ich Diane sprechen. Jetzt sofort, Guido. Nicht irgendwann, jetzt. Nicht erst, wenn du entscheidest, sie ans Telefon zu holen. Hör zu, Guido, du raubst mir den letzten Nerv. Verstehst du? Du bist ein Niemand, aber irgendwie bringst du mich um den Verstand. Ich bin es leid. Ich habe genug von deinen Tollheiten. Von deiner ganzen respektlosen Art. Glaubst du, du wärst Gott? Ich …«
    »Gott ist eine harte Nuss«, unterbrach Guido ihn. »Alles mit nur vier Buchstaben schränkt die kreativen Möglichkeiten ein. Ich würde vorschlagen, Ed, wir nehmen den Plural: Die Goetter. Also, da haben wir Substanz. Damit können wir arbeiten. ›Die Goetter‹ ergibt ›Erdige Tote‹. ›Oede Gitter‹. ›Eidotter Eg‹. Und Namen! Aus ›Die Goetter‹ entstehen jede Menge Namen: Tito Geerde, Odette Reig, Grete Todei, Gerd Oettei, Ed …«
    »Genau das meine ich. Ich …«
    »He, Ihr Unternehmen, Pythia, richtig? ’Ah, pity’, fällt mir da ein. Was für eine Schande. Oder …«
    »Du bist geistesgestört, Guido. Dieses ständige Wörterverdrehen, das ist zwanghaft, krank, obsessiv, sinnlos, alles vertane Zeit, ein vertanes Leben! Und du hältst dich für ein Fliegerass! Du …«
    »Fliegerass? Nicht ganz einfach. Wie wär’s mit ›Freies Glas‹? Oder ›Sargfliese‹? He, das ist gut: ›Gefasel, Sir‹. ›Fassriegel‹ …«
    Ed legte auf. Sekunden später ging das Telefon. »Ich bin’s noch einmal. Guido Sternvad. Ich muss Ihnen noch etwas Wichtiges sagen.

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