Ed King
Teil, der unvermeidlich folgen würde – die Erpressung, die ewigen Forderungen, das Sich-dumm-und-dämlich-Zahlen. Aber den gefährlichen Teil, der das eigene Leben in Stücke zu reißen drohte, glaubte Walter hinter sich zu haben.
In der Nacht träumte Walter. In seinem Traum stand er im Besucherraum der Säuglingsstation und betrachtete Baby Doe hinter der Glasscheibe. Dann kam eine Schwester, nahm Baby Doe hoch und brachte ihn zu ihm an die Scheibe. »Das Vernünftigste wäre, ihn gleich jetzt zu töten«, sagte sie mit klarer Stimme durch die Glaswand.
Morgens beim Rasieren sann Walter darüber nach. »Interessant«, dachte er, »aber vor Gericht nicht zu verwenden. Was sollte ich dem Vorsitzenden Richter sagen? Dass mir im Traum befohlen wurde, meinen eigenen Sohn zu töten? Außerdem sind Träume ohne Sinn und Bedeutung. Sie haben keinen Bezug zur realen Welt. Gespinste. Nichts weiter als fehlgeleitete Impulse des Gehirns. Na, da haben wir’s. Nur ein wirrer Traum. Ohne Bedeutung.«
Walter checkte aus und fuhr zurück zur Säuglingsstation, wo er erfuhr, dass Diane und Baby Doe verschwunden waren. Sie hätten das Krankenhaus verlassen. Aber das konnte doch unmöglich sein. Was dachte sie sich dabei? Was ging hier vor? »Oh, nein, nein, nein «, dachte Walter und rief bei der Adoptionsagentur an. Zweimal landete er in der Warteschleife und wurde weitergeleitet, bis die Direktorin persönlich, der oberste Gutmensch, ihm mitteilte, sie sei bereits informiert. Sie habe mit den angehenden Adoptiveltern gesprochen, und die angehenden Adoptiveltern träten von der Adoption zurück, aus Gründen, zu deren Geheimhaltung sie verpflichtet sei, die sie aber unter den gegebenen Umständen mitzuteilen bereit sei, nämlich dass die leibliche Mutter es sich anders überlegt hätte und sie keine leibliche Mutter wollten, die nicht loslassen könne, und dass sie sich außerdem fragten, in welcher Verfassung die leibliche Mutter gegenwärtig sei und wie sie ihr Baby behandle. Es gebe zu viele Warnsignale.
Ihr Wagen war vom Krankenhausparkplatz verschwunden. Es war Mitte April. Ein kalter Wind trieb Pollen durch die Luft. Walter kratzte sich am Kopf und wägte seine Möglichkeiten ab. Er konnte einfach nach Hause fahren und sich seinem Schicksal ergeben oder nicht nach Hause fahren, niemals mehr nach Hause zurückkehren, oder … »Moment mal«, dachte er. »Was mache ich hier überhaupt? Wie oft soll sich das noch wiederholen? Was hat das ganze Abwägen von Möglichkeiten für einen Sinn? Sieh doch nur, wohin es mich gebracht hat. Mein Gott, was für ein Elend, und wie befreiend wäre es, wenn ich irgendwie einfach wieder leben könnte, frei von all diesen Problemen.«
Als er im Wagen saß, fühlte er sich von Diane betrogen und schlug mit dem Kopf gegen das Lenkrad. »Alle Gefahren habe ich so vorsichtig umschifft«, dachte er. »Alles richtig gemacht. Habe gegeben, wasich konnte. Und jetzt sitze ich hier wie ein Idiot. Und denke darüber nach, dass ich hier wie ein Idiot sitze. Ich habe nicht einmal einen Grund, meinen Wagen zu starten. Was soll ich tun? Wo soll ich hin?«
Dann fiel ihm ein, dass Diane wenig Geld hatte, gerade einmal den Rest dessen, was er ihr zugesteckt hatte. Es konnte nicht viel sein. Vielleicht würde es für ein paar Nächte im Motel reichen, aber was dann? Sie hatte keinerlei Einkommen. Sie hatte ein Neugeborenes, und – sie hatte Walter in der Hand. »Das ist der Schlüssel«, dachte er. »Das ist der springende Punkt. Sie hat mich mit dreihundert Dollar pro Monat am Wickel. Warum sollte sie darauf verzichten? Sie wird nicht einfach so davonlaufen. Ganz bestimmt wird sie das nicht tun. Wieso bin ich nicht früher darauf gekommen? Ich brauche mich nur zurückzulehnen, und das kleine Biest wird sich schon bei mir melden. Sie wird mich im Büro anrufen und mich ausquetschen.« Tatsächlich, so sah er es voraus, würde sie ihn bis in alle Ewigkeit ausquetschen, ihn nach Strich und Faden ausnehmen. Er würde für viele Jahre bluten müssen, da führte kein Weg dran vorbei.
Walter kam zur letzten Station seiner Reise, dem Northgate Shopping Center, um Geschenke einzukaufen. Für Lydia Chanel N o 5; für Barry eine Lego-Stadt und für Tina ein Happy Hippo, mit beweglichem Maul und elastischem Schwanz. Das Wunderbarste aber war, er fühlte sich gut, während er durch das Einkaufszentrum spazierte, voller Staunen über den Planeten Erde und seine verschlungenen Pfade und über das Pathos und die
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