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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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also mussten Erdnussbutterkekse genügen, überbracht vom demütigen Bittsteller Walter. »Probier mal«, sagte er. »Es sind zwar keine Snickerdoodles, aber sie sind gut.« Diane funkelte ihn wütend an, schüttelte den Kopf und sagte voller Abscheu: » Bitte , Walter.«
    Er setzte sich auf einen Stuhl unter dem Fernseher an der Wand. Diane war dabei, sich irgendeine Serie über reiche Leute anzuschauen, die er nicht kannte, und das mit einer Begeisterung, die ihm angesichts der drängenden realen Probleme befremdlich schien. Wie konnte sie das nur tun? Er könnte niemals so reagieren. »Es gibt da etwas«, sagte er und stand auf, um sich einen Keks zu nehmen, »über das du nachdenken solltest.«
    »Und was wäre das?«, fragte Diane.
    »Ganz einfach«, sagte Walter. »Versuche dir einfach nur vorzustellen, wo du in, sagen wir, einem Jahr, in drei, in fünf oder in zehn Jahren bist. Frage dich, wie dein Leben dann aussieht.«
    »Und warum?«
    »Eine gute Übung. Ich mache das häufig. Komm schon, Diane. Tu’s mir zuliebe.«
    Diane zuckte mit ihren wunderbaren, mädchenhaften Schultern. »Zehn Jahre«, sagte Walter, » schnipp, einfach so. Und jetzt bist du sechsundzwanzig, Diane, mit einem zehnjährigen Kind an deiner Seite.«
    »Willst du mir beweisen, dass du gut rechnen kannst, Walter?«
    Walter rang die Hände, in der einen Hand einen Keks. »Willst du das, wenn du sechsundzwanzig bist? Ich bin vierunddreißig, fast fünfunddreißig, und ich sage dir, das willst du nicht. Was du willst – und genau das wirst du mir erzählen –, ist, ein gutes amerikanisches College zu besuchen und etwas aus deinem Leben zu machen .«
    »Das wäre schön, aber …«
    »Hör zu«, sagte Walter. »Tu dir selbst einen Gefallen. Triff jetzt keine Entscheidung, okay? Nur dieses eine, bitte. Nur zu deinem eigenen Wohl, Diane. Ruhe dich aus, sieh fern, schlafe eine Nacht drüber, und dann setzen wir uns hin und reden über deine Zukunft. Offen und ehrlich, du und ich.«
    Sie antwortete nicht. Sie sah ihn nicht einmal an. »Diane«, sagte er, »du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass du, was immer du tust, mit meiner Unterstützung rechnen kannst. Wenn du aufs College willst, helfe ich dir. Und wenn nicht, helfe ich dir auch. Ich werde mich nicht vor meinen Pflichten drücken, glaube mir. Ich will nur dein Bestes.«
    Und wie reagierte sie darauf? Auf die erneute Beteuerung seiner Aufrichtigkeit? Den Griff nach dem Strohhalm seines Anstands? Sie reagierte, indem sie sagte: »Nicht schon wieder, Walter. Bitte, komm mir nicht schon wieder mit diesen leeren Versprechungen.«
    Am nächsten Tag entschloss sich Diane zu seiner unermesslichen Erleichterung, an ihrem Plan festzuhalten. Wer wusste, warum? Letztlich war es egal, warum. Baby Doe würde endgültig adoptiert werden, und er, Walter, würde nach Hause zurückkehren, wie ein Matrose nach einer langen Zeit auf See, wo er mit Haien, Skorbut, Piraten, einem Wirbelsturm und einem gebrochenen Mast zu kämpfen gehabt hatte.
    »Diane«, sagte er, »ich glaube, du triffst die richtige Entscheidung in einer Situation, in der es keine richtige Entscheidung geben kann, sondern nur größere und kleinere Übel, und das ist für mich das Problem mit dem Leben überhaupt, dass es nicht immer den Weg geht, den es gehen soll, dass ich es nicht in der Hand habe.«
    Er dachte, er würde aus derselben Ecke des Rings zur ihr sprechen oder aus einer gemeinsamen Überzeugung heraus, aber Diane hielt sich den Bauch, als würde ihr schlecht von seinem Reden, und sagte: »Ich brauche keine Belehrung, Walter.«
    »Schon gut.«
    »Dein Problem mit dem Leben muss erst einmal warten.«
    »Ich verstehe.«
    »Im Augenblick bin ich nicht in der Lage, mich mit deinen Problemen zu beschäftigen.«
    »Reden wir nicht davon.«
    »Die Sache ist die, Walter, du bist der Inbegriff eines Wichsers. Hör gut zu: Du bist ein Wichser . Wichser, verstanden? Wie sagt man bei euch dazu? Schlag’s nach. Wichser.«
    »Mach ich«, sagte er schroff und ging.
    Erschöpft rief er Lydia aus »Baltimore« an. »Ich bin total geschafft«, sagte er, »und freue mich auf zu Hause. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf zu Hause freue.«
    Aber er konnte noch nicht nach Hause. Nicht sofort. Noch eine weitere Nacht musste er in diesem Morast ausharren, die er mit Kopfschmerzen in einem Motel vor dem Fernseher verbrachte. Dennoch fühlte er sich erleichtert, weil die ganze Geschichte nun fast durchgestanden war, bis auf den

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