Ed King
und er legte ihm, ganz gegen seine Gewohnheit, einen Arm um die Schultern. »Was soll das?«, sagte Simon. »Schwuchtel oder was?«
»Ich tu dir nichts.«
»Lass mich los, du Homo.« Simon schlüpfte aus Eds Umarmung und lief zum anderen Ende der Einfahrt. »Lass mich gefälligst in Ruhe«, sagte er.
Ed legte sich ins Bett und blieb am Morgen liegen. Alice rief im Schulsekretariat an und entschuldigte ihn, dann brachte sie ihm einen Bagel mit Butter, den er nicht aß, und ein Glas Orangensaft, das er ebenfalls nicht anrührte. »Eddie«, sagte sie, »was kann ich für dich tun?«, und er antwortete: »Ich glaube, ich habe die Grippe.«
Sobald sie gegangen war, plagten ihn seine alten obsessiven Gedanken: »Ich bin ein Mörder, ich habe jemanden getötet. Es lässt mich nicht mehr los. Es ist eine Tatsache, ich habe jemanden getötet. Ich, ein dummes Bürgersöhnchen, das sich für einen heißen Fahrer und für so cool gehalten hat. Da komme ich niemals drüber weg. Das kann ich nie wiedergutmachen. Ich werde mich schuldig fühlen, solange ich lebe. Ich habe jemanden getötet, ich habe einen Menschen getötet, ich habe Walter Cousins getötet, der niemandem etwas getan hat, der eine Frau und zwei Kinder hatte – ich habe ihn getötet.«
Alice brachte Ed Suppe zu Mittag, die er folgsam löffelte, damit sie wieder verschwand, die aber seltsamerweise nach gar nichts schmeckte. Später musste er Dan loswerden, indem er ihm versicherte, es gehe ihm schon besser und er hoffe, morgen wieder zur Schule gehen zu können. In der Nacht lag Ed mit einem Kissen über dem Kopf wach. In seinem Hirn kreisten die immer gleichen Gedanken, und er hasste sich selbst. Am Morgen begann er einen weiteren Tag, ohne zu duschen, sich die Zähne zu putzen und aufzustehen. Er aß und trank auch nichts oder gerade genug, um Alice abzuwimmeln, und er tat nichts weiter, als mit der Decke über dem Kopf dazuliegen. Wenn jemand ins Zimmer geschaut hätte, hätte er eine lange, unbewegliche Erhebung gesehen, so wie eine aufgebahrte Leiche im Film, aber darunter, in seiner Zeltwelt, war Ed alles andere als tot. In seinem Hirn raste und hämmerte es, und der Selbsthass nagte an ihm.
Am Nachmittag schaute Simon vorbei, der mit den Worten ins Zimmer platzte: »Wo ist Phaser Strike ?«
»Simon … hilf mir.«
Simon begann die Spielmodule in Eds Schreibtischschublade zu durchwühlen. »Was?«, sagte er. » Lander! Und Eighteen Wheeler ! Ich habe dich hunderttausend Mal gefragt, ob du irgendwelche von meinen Spielen hast. Das ist gemein. Herr Jesus.«
Ed sagte: »Simon, ich bin total durcheinander.«
Simon stapelte Videospielkassetten auf der Schreibtischplatte. »Hier ist Phaser «, sagte er. »Ich hab doch gewusst, dass du es hast.«
»Das ist ein Albtraum. Die Hölle. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
»Hahaha. Du bist krank, Edeleh, und ich bemitleide dich kein bisschen. Ehrlich gesagt gefällst du mir krank sogar besser, aber du bist ja immer krank: im Kopf !«
Ed hielt sich die Augen zu, weil die Welt leichter zu ertragen war, wenn er sie nicht sah. »Simon«, sagte er. Nur das eine Wort.
»Aha«, erwiderte Simon. » Star Fire auch. Du hast gesagt, du hättest Star Fire nicht.«
»Simon.«
»Ich nehme Lander, Phaser, Eighteen Wheeler , Star Fire und noch ein paar andere Spiele zum Ausgleich.«
»Nimm sie alle.«
»Edeleh.«
Es folgten noch weitere beunruhigende Dinge. Ed verlor seine Stimme. Es war, als hätte er eine Hals- oder Kehlkopfentzündung und bekäme keinen Druck mehr auf die Stimme. Morgens wartete Ed, bis seine Mutter aus dem Haus war. Dann ging er unter einer ungeheuren Kraftanstrengung – die Luft kam ihm wie zähflüssiger Sirup vor – nach unten und überflog sämtliche Überschriften in der Zeitung auf der Suche nach einer Nachricht über Walter Cousins. Er fand aber nie eine und schleppte sich zurück ins Bett, wo die Zeit quälend langsam verging.
Zuletzt suchte Alice mit Ed einen gewissen Paul Stern auf, der Arzt für Allgemeinmedizin und ein Freund der Kings aus der Gemeinde war. Alice stand neben Ed und redete, während Stern sich Eds Ohren, Nase, Augen und Hals ansah, Puls und Blutdruck prüfte, sein Herz abhörte und Ed Fragen stellte, die Alice beantwortete. Dann sagteDr. Stern: »Ed muss einmal kurz die Hosen runterlassen, Alice. Du gehst am besten ins Wartezimmer, und wir holen dich in ein paar Minuten.«
»Ich bin seine Mutter.«
»Alice.«
Als sie draußen war, sagte Dr. Stern
Weitere Kostenlose Bücher