Ed King
verschwörerisch: »Behalte deine Hose an, Ed, und sage mir, was los ist.«
Ed saß auf dem Untersuchungstisch auf einer dünnen, knisternden Papierbahn, das Kinn gegen die Brust gedrückt. Seine Augen geschlossen. Seine Finger ineinander verhakt. Es fehlte nur noch die schwarze Haube, um das Bild des Delinquenten zu vervollständigen, der auf den Henker wartet.
»Ed?«
Nichts.
»Brauchst du etwas gegen Depressionszustände? Soll ich dich an jemanden überweisen, der dir bei psychischen Problemen helfen kann?«
Nichts.
»Oj«, sagte Dr. Stern. »Ich fühle mit dir, Ed. Ich kann genau nachvollziehen, wie es dir geht.«
Ed saß stumm und mit geschlossenen Augen da.
»Glaube mir«, sagte Dr. Stern. »Ich weiß, wie schlimm das ist.« Er holte seinen Rezeptblock hervor und fügte hinzu: »Versuchen wir es mit Diazepam, zwei Milligramm. Das sollte dir fürs Erste helfen, bis wir einen Termin bei einem Facharzt haben.«
Auf dem Weg zur Apotheke weinte Alice ein bisschen und sah immer wieder zu Ed herüber, der seinen Kopf gesenkt hielt. »Warum hast du mir nichts gesagt?«, fragte sie.
Ohne aufzublicken, sagte er mit schwacher, heiserer Stimme: »Irgendetwas stimmt nicht.«
»Ich liebe dich, Eddie. Dein Vater und ich lieben dich von ganzem Herzen, du weißt das hoffentlich. Ich hoffe, du weißt das.«
»Irgendetwas stimmt nicht«, wiederholte er.
Der Facharzt, an den Dr. Stern Ed überwies, hieß Roger Fine, aber Fine hatte in den nächsten fünf Tagen keinen freien Termin, sodass Ed 120 Stunden überstehen musste, bis sich seine Situation hoffentlich bessern würde. In der Zwischenzeit hatte er das Gefühl, als wäre er noch tiefer unter Wasser und befände sich nach wie vor auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Diazepam war wie ein Fausthieb ins Gesicht, ohne dass man dadurch k. o. ging. Sein Elend blieb, auch wenn er glaubte, es durch angestrengtes Nachdenken, durch die bloße Kraft seines Willens, so weit in Schach halten zu können, dass es ihn bis zu seinem Termin bei dem Psycho-Menschen nicht völlig runterzog. Der Nachteil von Diazepam war, dass es das Erreichen genau dieses Ziels erschwerte; der Vorteil, dass er nachts schlief. Sobald Ed jedoch aufwachte, war er wieder da – dieser riesige Raum geistiger Anspannung, diese stumme Marter und Qual. So träge, dumpf und benommen er aussah, in seinem Innern tobte ein wütender Kampf. Er hatte das Gefühl, auf Sturmböen durch die Luft zu reiten oder durch Erdspalten in die Tiefe geschleudert zu werden. Er wollte sich einfach nur ein Kissen auf den Kopf pressen und diesen Kampf allein ausstehen, aber das ging nicht, weil seine Mutter ihn ständig mit Snacks und Mahlzeiten und ihrer liebenden, kummervollen Fürsorge verfolgte. Nach seiner altbewährten Taktik aß Ed gerade so viel, dass er sie sich vom Leib halten konnte, und seinem Vater erzählte er, dass es ihm bessergehe, während er tatsächlich unverändert das Gleiche fühlte: nämlich dass seine Situation unerträglich war. Dennoch ertrug er sie, sofern er nicht sowieso von seinen Medikamenten umnebelt war, und klammerte sich an den Glauben, dass das Ende seines Elends Stunde um Stunde näher rückte.
Dann kam der Termin bei dem Psychologen. Fine, der nach vierzig oder fünfundvierzig aussah, hatte eine Privatpraxis in seinem Haus, die auf einen windzerzausten, altersschwachen Bambusgarten hinausging. Die Bücher in seinem Wartezimmer hatten einen asiatischen Einschlag, genau wie der Krimskrams auf der Toilette. Neben dem Waschbecken stand ein fetter Jade-Buddha und auf dem Spülkasten ein antikes Räuchergefäß. Fine bat Ed, seine Schuhe vor der Tür zu seinem Sprechzimmer auszuziehen und sich hinzusetzen, wo immer er wolle, auf der Couch, einem Stuhl, einem zweiten Stuhl, auf dem Boden oder im sogenannten Meditationsalkoven, wo eine mit zahllosen Kissen beladene Bank stand. Fine trug einen Bart, einen Pullunder undgrobe Wollsocken und hatte stets eine Teetasse in Reichweite. Regen prasselte auf das Dach. Ed setzte sich, und Fine sagte: »Sag mir, warum du hier bist.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Ed. »Dr. Stern hat mich hergeschickt.«
»Und warum hat er dich hergeschickt?«
»Weil ich nicht damit klarkam.«
»Womit?«
»Was immer mit mir nicht stimmt.«
»Und was, glaubst du, stimmt mit dir nicht?«
»Depressionen«, sagte Ed.
Fine zog seine buschigen Augenbrauen hoch und griff nach seiner Teetasse. »Erzähl mir mehr über Depressionen«, sagte er.
»Mehr?«
»Was ist
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