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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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damit? Wie fühlt es sich an? Was immer du mir darüber sagen willst. Leg los. Ich höre dir zu.«
    »Es ist, als wäre ich unter Wasser«, sagte Ed.
    »So, als wenn du deinen Atem anhalten würdest?«
    »Nein. Als könnte ich mich nur ganz langsam bewegen. Als läge über allem ein Schleier, wie auf dem Mond oder unter Wasser.«
    »Auf dem Mond.«
    »Oder unter Wasser.«
    »Isst du?«
    »Nein.«
    »Schläfst du?«
    »So viel wie möglich.«
    »Warum?«
    »Weil es dann nicht wehtut, depressiv zu sein.«
    »Wehtut?«, sagte Fine. »Es ist also nicht nur das Gefühl, unter Wasser zu sein? Es tut auch weh? Wie genau fühlt es sich an?«
    »Als würde man zerquetscht, wie in einem Schraubstock. Als würde es mich töten.«
    »Töten«, sagte Fine.
    »Als müsste ich sterben.«
    »Sterben«, sagte Fine. »Und wie ist das?«
    Ed seufzte. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Wie tot zu sein.«
    »Bist du schon einmal gestorben?«
    »Nein.«
    »Woher weißt du dann, wie es sich anfühlt?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und warum sagst du dann, es fühlt sich an, als würdest du sterben?«
    Ed seufzte wieder. War Roger Fine ein Staatsanwalt? War dies ein Kreuzverhör? Bevor er antworten konnte, sagte Fine plötzlich: »Warum dieses Seufzen? Gleich zwei Mal? Von wem kommt das Seufzen, Ed?«
    »Wie bitte?«
    »Es ist, als wären hier drei Personen im Raum. Ich, der Teil von dir, der unter Depressionen leidet, und der Teil, der seufzt.«
    »Versteh ich nicht«, sagte Ed.
    »Von wem also stammt das Seufzen?«
    »Tut mir leid«, sagte Ed. »Ich verstehe die Frage nicht.«
    Fine setzte seine Teetasse ab, wischte sich mit dem Handrücken über seine fleischigen Lippen, strich über seinen Bart, unterdrückte ein Aufstoßen und nickte die ganze Zeit. Dann sagte er: »Wer ist im Raum?«
    »Sie und ich.«
    »Und wer bist du?«
    »Ich bin ich.«
    »Wer ist ich?«
    Ed wollte seufzen, hielt sich aber zurück und sagte: »Ich weiß, ich sollte was anderes sagen, aber das ist nun einmal die Antwort – ich bin ich. Ich weiß nicht. Worauf wollen Sie hinaus? Sagen Sie mir, welche Antwort Sie erwarten.«
    »Ich kann dir nichts sagen. Jedenfalls nicht viel. Vielleicht ein kleines bisschen.« Fine hielt Daumen und Zeigefinger etwa zwei Zentimeter auseinander. »Mehr kann ich dir auch nicht sagen. Wer du bist? Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich wüsste es. Ich wünschte, es wäre so einfach. Du kommst zu mir, ich erkläre dir, was nicht stimmt, warum du depressiv bist, und irgendwie bist du es danach nicht mehr? So funktioniert das nicht. Das machen wir hier nicht. Ich habe keine Kristallkugel und kann auch keine Zaubertricks.«
    »Und was machen wir dann hier?«
    »Wir reden«, sagte Fine.
    »Worüber?«
    »Über dich.«
    »Und was genau?«
    »Das musst du entscheiden. Was immer du möchtest. Hier drinnen ist alles erlaubt. Erzähl mir doch einfach – warum bist du depressiv?«
    Ed seufzte, und Fine hob wieder die Augenbrauen. »Ich weiß nicht«, sagte Ed. Dann gab er auf und erfand irgendetwas. »Ein Freund von mir ist gestorben«, sagte er.
    »Das tut mir leid«, sagte Fine. »Wie und wann?«
    »Vor ein paar Wochen erst. Bei einem Autounfall. Im Osten Washingtons.«
    »Ein guter Freund?«
    »Ein sehr guter Freund.«
    »Jemand, den du lange gekannt hast? Seit deiner Kindheit?«
    »Ja«, sagte Ed. »Einer meiner besten Freunde.«
    »Da haben wir es«, sagte Fine und lehnte sich zurück. »Dein Freund ist gestorben, und nun bist du depressiv.«
    »Richtig.«
    »Aber vielleicht ist das gar keine Depression, sondern Trauer. Vielleicht ist es seelischer Schmerz, was ganz natürlich ist. Vielleicht bist du deshalb hier.«
    »Nein«, sagte Ed. »Das ist es nicht. Irgendetwas … stimmt nicht. Irgendetwas ist anders. Ich habe so etwas noch nie gefühlt. Es ist einfach nur … anders.«
    »Willst du sagen, du hast schon einmal einen Freund verloren, der dir genauso nahestand und dir genauso viel bedeutete und den du auf eine Art und Weise betrauert hast, die sich anders anfühlte als jetzt? Ist es das, was du sagen möchtest?«
    »Nein.«
    »Was möchtest du dann sagen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Könnte es seelischer Schmerz sein und keine Depression?«
    »Vielleicht.«
    »Also gut«, sagte Fine. »Reden wir über Schmerz. Reden wir überVerlust. Weil diese Dinge zum Leben dazugehören. Du hast jemanden verloren, also empfindest du Trauer, ganz natürlich, aber dein Leben geht weiter, und die Frage ist, wie wird es von diesem Punkt an

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