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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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Wörtern füllte, betrachtete sie ihn mit so schamloser Gleichgültigkeit, dass er schließlich fragte: »Sagen Sie nichts?«
    »Manchmal.«
    »Heißt das hier nicht ›Gesprächstherapie‹?«
    »Nein.«
    »Wie heißt es dann?«
    »Schwer zu sagen.«
    »Was mache ich hier?«
    »Im Augenblick noch dich vorstellen.«
    Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, und empfand ihre Antwort als beleidigend, als hätte er zu viel oder die falschen Dinge gesagt, aber welche Alternative hatte er denn? »Wenn ich nichts sage und Sie nichts sagen, dann sitzen wir hier nur rum, anstatt Fortschritte zu machen«, sagte Ed.
    »Fortschritte machen?«
    »Fortschritte auf meinem Weg dahin zurück, wo ich vor meiner Depression war.«
    Pierce sah ihn mit dem drohenden Blick eines fratzenhaften Wasserspeiers an. Hatten Wasserspeier nicht das gleiche steinerne, wachsam verharrende, undurchdringliche Antlitz, mit dem sie einen von oben herab fixierten, jederzeit bereit, herabzustoßen? »Ich wünschte, Sie würden etwas sagen«, sagte Ed.
    »Was zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel etwas Hilfreiches.«
    Pierce schob einen Finger unter den Rahmen ihrer Brille und zog sanft am Augenwinkel. Ed sah vom anderen Ende des Raums ihr rot glänzendes Augenlid. In ihrem schäbigen Sweater, den Turnschuhen und mit ihrem schiefen Bürstenschnitt sah sie mehr nach einer Patientin aus als nach einer Ärztin. »Ich muss dir etwas sagen«, sagte sie. »Ich habe, glaube ich, keine andere Wahl, als es gleich jetzt anzusprechen. Ich muss dir sagen, dass ich nicht mit dir arbeiten kann. Wir sind kein gutes Team. Ich bin nicht die richtige Therapeutin für dich. Es liegt nicht an dir. Du hast nichts falsch gemacht. Aber manchmal ist es ebenso. Ich möchte nicht gerne deine Zeit und dein Geld verschwenden, wenn das Gefühl nicht stimmt.«
    »Wovon reden Sie?«, sagte Ed.
    »Du solltest dir einen anderen Therapeuten suchen. Ich könnte dir jemanden empfehlen. Tut mir leid. Es hat einfach keinen Zweck, weiter zu mir zu kommen.«
    Ed rollte mit den Augen. »Ich verstehe das nicht«, sagte er. »Heißt das, ich soll gehen?«
    »Nein. Du kannst bleiben. Honorarfrei. Wenn du möchtest. Aber nur heute. Tut mir leid.«
    »Hier mit jemandem sitzen, der glaubt, mir nicht helfen zu können? Wozu soll das gut sein? Das ist alles sehr seltsam«, sagte Ed. »Ich hätte nicht erwartet, von Ihnen vor die Tür gesetzt zu werden.«
    Pierce antwortete nicht, sodass Ed fortfuhr. »Wie soll ich damit umgehen?«, sagte er. »Man hat mich abgewiesen. Rausgeschmissen, weil ich nicht – ja, was eigentlich? Ich habe keine Ahnung. Ich bin hier der Angeschmierte. Sie sind die Hexenmeisterin und ich der Niemand. Sie sagen, wo es langgeht, und ich darf folgen. Das ist doch total daneben.«
    »Ich verstehe«, sagte Pierce.
    »Nein, tun Sie nicht.«
    Zum ersten Mal, seit er in ihre Dachkammer getreten war, bewegte Pierce sich auf ihrem Stuhl. Sie setzte sich aufrechter hin und wirkte dadurch größer. Sie plusterte sich auf, als wollte sie ihre Zimmerecke ausfüllen. »Ich sehe mir die Teile an«, sagte sie, »damit ich das Ganze verstehen kann. Ich habe mit dir hier gesessen, mir die Teile angesehen, und ich denke, offen gestanden, weiter kann ich nicht gehen. Ich glaube auch nicht, dass dies ratsam wäre. Ich glaube, du bist ohne Therapie besser dran, Ed. Bei manchen Leuten ist das so.«
    »Aber ich bin nicht manche Leute «, hielt Ed dagegen. »Genau da liegen Sie falsch. Wenn ich etwas wissen muss, dann will ich das auch wissen, und zwar immer, verstehen Sie? So bin ich. Das ist die Person, die hier vor Ihnen sitzt. Wie können Sie mich nach, nun, vielleicht zwanzig Minuten kennen? Ich verstehe nicht, wie Sie mich einfach wegschicken können, als wäre ich Abschaum, ein Niemand. Für wen halten Siesich, so mit mir umzuspringen? Ihre Erklärungen können mir gestohlen bleiben. Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wer ich bin.«
    »Hör zu«, sagte Pierce. »Ich denke, du solltest jemanden finden, der dir etwas verschreibt, und dein Leben genießen, solange du kannst.«
    »Mit Ihnen stimmt was nicht«, sagte Ed und ging.
    Immerhin hatte er eine zweite Meinung. Das Psychopharmakon, Imipramin, beseitigte seine Depressionen innerhalb von sechs Wochen. Danach fühlte Ed sich wieder wie zuvor und bereit für die Zukunft.
    Alice bat eine Freundin in der Schulkommission um Nachsicht, und wenig später hatte Ed einen Platz in der elften Klasse der University Prep, einer erstklassigen Privatschule,

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