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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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sie sich bei Gelegenheit unter die Nase zu reiben. Wenn einer von ihnen für eine schwierige Gleichung oder einen Beweis an die Tafel musste, saß der andere auf der Stuhlkante und wartete nur auf ein Zögern oder einen Fehler, um sofort lautstark einzuschreiten. Die King-Brüder stritten um den ersten Platz bei der Differenzialrechnung und lagen bei der Informationstheorie gleichauf. Wie oft muss man ein Kartenspiel abheben und zusammenschieben, um die Karten optimal zu mischen? Wie hoch ist die relative Häufigkeit von Buchstaben und Leerzeichen in einem englischen Text? Du hast eine Waage und neun Münzen; acht Münzen wiegen gleich viel, nur die neunte Münze ist schwerer oder leichter als die anderen. Finde durch dreimal Wiegen heraus, welche Münze abweicht und ob sie schwerer oder leichter ist. Ed und Simon betrachteten solche Aufgaben als sportliche Wettkämpfe. Es gab zahlreiche Unentschieden und Bestnoten, aber es begannen sich auch bestimmte Stärken und Schwächen abzuzeichnen. Ed konnte Simon in der räumlichen Welt der Höheren Geometrie nie ernsthaft gefährden und fühlte sich im Strudel der nicht euklidischen Welt verloren. Auch bei der Analyse komplexer Daten und in der Zahlentheorie war Simon überlegen. Eds große Stärke wiederum waren die Informationstheorie und das kreative Reich der Algorithmen. Ed hatte ein natürliches Talent für Algorithmen, so wie gelenkige Menschen ein Talent für Verrenkungen haben oder wie ein autistisches Genie im Handumdrehen ein Telefonbuch auswendig lernt. Angenommen, man muss 20000 Zeitungen mit 50 Lastwagen an 1000 Adressen in 100 Städten verteilen – Ed hatte den Algorithmus in zwei Minuten parat. Angenommen, man begegnet N schlafenden Tigern und möchte einen Zaun um sie ziehen, bevoreiner oder mehrere aufwachen und einen zerfleischen – welches ist das kleinste Vieleck, das alle einschließt? Wieder hatte Ed den Algorithmus in einer Zeit gefunden, die andere dafür brauchten, die Frage zu verstehen. Simon hatte nicht die leiseste Chance, ihn auf diesem Gebiet zu schlagen. Bei Algorithmen war Ed der Star.
    Nicht dass Ed sich nur noch mit Simon gemessen hätte. Einen Großteil seiner Zeit widmete er den Mädchen an der U Prep. Eine war, genau wie er, in den Semesterferien im Frühjahr 1980 Laufbursche für den Senator ihres Wahlbezirks; eine andere gehörte zu einer Gruppe von Studenten, mit denen Ed im Sommer verschiedene europäische Hauptstädte besuchte. Und dann war da noch der Mathe-Club, in dem Ed und Simon die Überflieger waren und wo Ed Yael Anon kennenlernte, die frisch aus Israel übergesiedelt war, mitten im Winter gebräunt vom Strand in Haifa zu ihnen kam und noch Sand in den Haaren hatte. Das Mathe-Team reiste mit einem Kleinbus quer durch Washington zu Wettkämpfen mit anderen Clubs, und auf diesen Ausflügen vergnügten Ed und Yael sich in Holiday Inns und Best Western Motels.
    Ed freute sich immer auf die Wochenenden mit dem Mathe-Club. Betreut wurde der Club von einer jungen, attraktiven Frau, Darlene Klein, die bei den Schülern sehr beliebt war und den Spitznamen » De cline« trug, da sie im Vorlesungsverzeichnis als »D. Klein« auftauchte. Die meisten Jungen nannten sie untereinander nur Re cline, weil sie sie, wie es bei ihnen hieß, am liebsten flachgelegt und genagelt hätten. Ed bildete da keine Ausnahme. Wie viele Jungen an der U Prep betrachtete er Ms Klein mit unverhohlen lüsternen Blicken. Er mochte ihre Art. Ihm gefiel die lockere und ausgelassene Atmosphäre, die sie im Bus verbreitete. Gewöhnlich brachen sie am Freitagnachmittag nach dem Unterricht auf. Ms Klein am Steuer des Kleinbusses, ein Schüler auf dem Beifahrersitz, zwei in der Mitte und drei zusammengepfercht auf der Rückbank. Ms Klein war jung genug, um dazuzugehören. Sie futterte Süßigkeiten wie alle anderen, trank Gatorade aus einer großen Plastikflasche, ließ Kaugummiblasen platzen, fummelte am Radio herum, tratschte über Lehrer und Flirts zwischen den Schülern und unterhielt sich mit ihnen über Filme und Popmusik. Die Mitglieder des Clubs verhielten sich ihr gegenüber unterschiedlich: EmilySussman tat so, als gehörte Ms Klein zu ihrem engsten Freundeskreis; Vanessa Tate bewunderte sie ebenfalls, allerdings auf eine eher kriecherische und anbetungsvolle Weise; Simon schien durch Ms Klein verunsichert, als hielte er sie für sittlich fragwürdig und unschicklich; Linda Dorman ließ sich wie üblich nicht in die Karten schauen, und Yael

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