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Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut

Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut

Titel: Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Declan Hughes
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rausgerissen. Tiefer drinnen entdeckte ich noch mehr Plastikstückchen. Ich versuchte, einen Finger in den Spalt zu schieben, aber es gelang mir nicht.
    Ich ging zurück an Deck und fragte Colm, ob er Werkzeug bei sich habe, aber das, was er hatte – Schraubenzieher, Schraubenschlüssel, Zangen und Ähnliches –, war zu groß und half mir nicht weiter. Er borgte mir eine Taschenlampe, mit der ich hinter den Spind leuchten konnte. Neben den blauen Plastikstückchen entdeckte ich jetzt noch etwas anderes, das aussah wie ein Stück Hochglanzpapier.
    Ich trug einen relativ neuen Gürtel, dessen Leder noch recht steif war. Den zog ich aus, legte ihn zusammen und schob ihn ein paarmal hinter den Spind. Weitere blaue Plastikstückchen und eine Menge Staub kamen zum Vorschein und endlich auch das Stück Papier.
    Es war ein Teil eines alten Fotos. Auf der Rückseite stand mit rotem Filzstift:
    »ma Courtney
    3459«.
    Das Foto zeigte eine gemischte Gruppe festlich gekleideter junger Leute, zwei Männer und vier Frauen. Es sah aus wie eins der Bilder von Hochzeiten, wenn die offiziellen Fotos gemacht sind und alle Gäste sich um das Brautpaar ins Bild drängen. Ich wusste nicht, wessen Hochzeit es war, und die vier Frauen hatte ich noch nie gesehen, aber ich erkannte die beiden Männer. Jemand hatte, ebenfalls mit rotem Filzstift, einen Kreis um ihre Köpfe gemalt. Der eine sah aus wie John Dawson. Der andere war Eamonn Loy, mein Vater.

Fünf
    Das Rathaus von Seafield liegt am oberen Ende der Hauptstraße. Man sieht es vom Hafen aus, und wenn man von dort direkt darauf zugeht, bekommt man einen Eindruck von der ursprünglichen Ortsstruktur. Das Rathaus ist ein solides, granitverkleidetes Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert und verfügt über einen Uhrenturm, Ratssäle und Empfangsräume für die Öffentlichkeit. Zumindest war das alles früher so. Heute ist ein McDonald’s darin. Ich stand etwa so verwirrt davor wie George Bailey, als er in Ist das Leben nicht schön? nach Pottersville kommt. Seit ich das Foto von meinem Vater und John Dawson entdeckt hatte, hatte ich Herzklopfen; jetzt brach mir der kalte Schweiß an Gesicht und Rücken aus, und meine Zunge fühlte sich an wie ein Stück Pappe.
    Ein alter Mann mit einer schwarzen Baskenmütze und einem fest zugeknöpften dunkelblauen Regenmantel schien zumindest einen der Gründe meiner Verwirrung zu erraten, erbarmte sich und wies mir den Weg zum so genannten neuen Rathaus, das aber, wie er mir versicherte, auch schon mindestens zwanzig Jahre alt war. Ich bedankte mich und folgte seiner Wegbeschreibung bis zum nächsten Pub. Das Anchor lag versteckt in einer Seitenstraße und war kein Ort, an dem man etwas zu essen bekommen hätte, nicht einmal ein Sandwich. Der Barmann sah mir nicht in die Augen, und die erschöpften Männer, die stumm über ihren Pints hockten, warfen mir nur einen kurzen Blick zu und schauten gleich wieder weg. Ich bestellte einen doppelten Jameson, gab etwas Wasser dazu und leerte ihn in drei, vier Schlucken. Ich lauschte dem Rascheln von Zeitungen, dem Ticken einer alten Uhr. Als ich wieder nach draußen kam, zitterten meine Hände nicht mehr.
    Ich hatte eine Verabredung mit Rory Dagg, dem Bauleiter, der bei Dawson Construction für die Rathausrenovierung zuständig war, aber bis dahin blieb noch ein bisschen Zeit. Ich ging in einen Laden an der Hauptstraße, kaufte mir ein Handy und ließ die Karte aufladen. Dann rief ich Linda, den Bootsmann Colm und Tommy Owens an, um ihnen meine Nummer durchzugeben. Anschließend ging ich zur Seafront Plaza und kaufte mir in einem der Straßencafés einen Bagel mit Roastbeef und Meerrettich. Ich setzte mich zu zwei jungen Chinesinnen an einen Aluminiumtisch und spülte das Essen mit einer Flasche Revolution Red Ale der Dublin Brewing Company herunter. Die Sonne schien, und überall wimmelte es von Leuten: Büroangestellte bei einer schnellen Mittagspause, junge Mütter mit Kinderwagen, die sich die Zeit bei Milchkaffee und Eistee vertrieben, Touristen, die über Landkarten brüteten oder Postkarten schrieben. Seltsamerweise fühlte ich mich in dieser Umgebung richtig heimisch. Dann wurde mir klar, warum: Die ganze Szene erinnerte mich viel mehr an Santa Monica, das westliche L. A. und Kalifornien als an das Irland, das ich hinter mir gelassen hatte. Richtig irisch erschien mir nur das Pärchen, das gerade mit einem Baby im Kinderwagen und einem Kleinkind an der Hand vorbeischlurfte. Beide waren Anfang

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