Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
zwanzig. Der Junge hatte das graue Gesicht und die Wangenknochen eines Junkies und benutzte den ganzen Arm zum Rauchen, als wäre die Zigarette eine Hantel. Die junge Frau hatte kupferrot gefärbtes Haar und kniff die Augen zusammen, um dem Qualm der Zigarette, die ihr im Mundwinkel hing, zu entgehen. Das Baby schrie, das Kleinkind knatschte, und der Typ brüllte Variationen zum Thema »Scheiße, Mann, er war nicht da!« in sein Handy. Das Mädchen hielt den Kopf gesenkt und versuchte, das inzwischen ebenfalls brüllende Kleinkind zu beruhigen, und während sie sich fluchend und schimpfend zwischen all den wohlhabenden, großstädtisch wirkenden Menschen hindurchschlängelten, mit anderen Kinderwagen kollidierten und gegen die Tische stießen, dachte ich mir, dass mich das nun wirklich nicht an Kalifornien erinnerte. Dort hätten ein paar Sicherheitskräfte dafür gesorgt, dass Leute, die Geld ausgeben konnten, nicht mit dem Anblick von Leuten behelligt wurden, die keines hatten. Ich war mir nicht mehr sicher, was besser war: solche Leute nie zu Gesicht zu bekommen oder sie doch zu sehen und so zu tun, als wären sie nicht da.
Ich saß an meinem Tisch und sah mir die beiden Fotos an, die ich bei mir hatte. Linda hatte mir ein Bild von Peter Dawson gegeben. Sein Gesicht wirkte aufgeschwemmt und glänzte, die tief liegenden blauen Augen waren gerötet, auf den Wangen sah man rote Flecken, und die feuchten Lippen waren zu einer Art sorgenvollem Schmollen gespitzt. Trotz der vielen Spuren, die der Alkohol hinterlassen hatte, sah er im Grunde aus wie ein erschrockener kleiner Junge, der die Kontrolle über sein Leben verloren hatte und nicht wusste, wie er sie zurückbekommen sollte.
Das Fotofragment, das ich auf Peters Boot gefunden hatte, stammte wohl aus einem der leeren »Familien« -Ordner. Mein Vater und John Dawson sahen jung darauf aus, schlank und unbeschwert, ihre Augen strahlten, sie hatten ihre Pints mit Stout erhoben und die Münder zum Singen oder Jubeln geöffnet. Ich betrachtete das Foto, ging die Jahre durch und versuchte mich zu erinnern, wann die Augen meines Vaters jemals so gestrahlt hatten. Mir fiel nichts ein.
Ich trank mein Bier aus und ging zurück zum Parkplatz neben dem Yachtclub. Als ich den Mietwagen gefunden hatte, fütterte ich die Parkuhr, zog ein Flugblatt unter dem Scheibenwischer hervor, das mich aufforderte, »unser Freibad« zu retten, und steckte es in die Tasche. Dann ging ich bergauf und bog in eine Zufahrtsstraße ein, die zum Rathaus und zu den Büros der Stadtverwaltung führte: drei siebenstöckige Klötze aus Glas und Beton, die parallel zur Hauptstraße von Seafield lagen, obwohl man sie von dort nicht sehen konnte. Den mittleren Klotz umrahmten zwei Kräne, und ein Baustellenschild informierte mich darüber, dass die Firma Dawson Construction dieses Renovierungsprojekt mit Unterstützung des Bausektors der Europäischen Union sowie des Nationalen Entwicklungsplans umsetze, dass Rory Dagg die Bauleitung innehabe und – als Zusatz aus einer Graffitispraydose – dass Anto gern große Schwänze lutsche.
Viel weiter sollte ich offensichtlich nicht kommen. An beiden Pfeilern des Schilds war weißblaues Polizeiabsperrband befestigt und führte von dort um den ganzen Rathausklotz, vor dem Gebäude parkten diverse Polizeiautos, und neben dem Schild stand ein uniformierter Beamter.
»Was ist denn hier los?«, fragte ich.
»Polizeieinsatz«, sagte der Beamte und zog dabei die schmalen Lippen über die Zähne.
»Ich habe einen Termin mit Rory Dagg, dem Bauleiter«, sagte ich.
»Polizeieinsatz«, wiederholte der Mann. Seine Lippen verschwanden fast völlig in seinem kleinen Mund, als hätte er Angst, dass ihm jemand die Zähne klaute. »Der Öffentlichkeit ist der Zugang untersagt.«
»Ich habe einen Termin mit Rory Dagg«, wiederholte ich. Der Beamte machte sich nicht mehr die Mühe, darauf zu antworten, was ich durchaus verstehen konnte. Ein Weilchen standen wir schweigend da, dann öffnete sich die Rathaustür, und zwei Männer kamen nach draußen. Beide hatten Helme auf dem Kopf. Der eine trug eine reflektierende gelbe Bauarbeiterjacke über einem hellbraunen Cordsakko, dazu ein blaugrün kariertes Hemd, eine helle Hose und hellbraune Timberlands. Der andere war Detective Sergeant Dave Donnelly. Dave sah mich und kam sofort auf mich zu.
»Ed Loy sieh mal einer an. Wie ich höre, hast du einen Termin mit Rory Dagg. Irgendwelche Ermittlungen, die du durchführst?«
Dave sah
Weitere Kostenlose Bücher