Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
und Tupfern zugange. Irgendwie wirkten sie alle fehl am Platz. Das Ganze sah überhaupt nicht nach einem Tatort aus, eher nach einer archäologischen Ausgrabungsstätte.
»Es ist ein Mann«, sagte Dave. »Er war im Fundament, das heißt, es muss 1981 oder 1982 passiert sein, vielleicht auch früher. Sie haben ihn in einem riesigen Stück Beton gefunden, unversehrt wie eine Mumie. Selbst die Kleider sind noch erhalten. Mehr wissen wir noch nicht …«
»Vielleicht über die Zahnanalyse?«
»Oder über den Zahnersatz. Und wir müssen sehen, wer in der Zeit überhaupt vermisst gemeldet wurde. Die Chancen, dass wir ihn identifizieren können, stehen eins zu einer Million. Aber wahrscheinlich gibt es einigen Druck. Die Presse wird sich nur so darauf stürzen.«
Ich schaute auf die Leiche hinunter, eine zerlumpte Vogelscheuche, über und über verklebt mit grauem Staub und Betonresten. Noch ein Vermisster. Vielleicht war es ja mein Vater. Zeitlich würde es hinkommen. Wenn ich ihn lange genug anstarrte, verriet er mir vielleicht sein Geheimnis. Aber wahrscheinlich war auch er nur ein Bündel alter Knochen.
»Hat die Firma Dawson auch den ursprünglichen Bau betreut?«, fragte ich.
»Glaube ich nicht. Ich weiß nicht, wer es gemacht hat, aber dieser Dagg schimpft ordentlich über den ursprünglichen Bauzustand. Er sagt, da wurde ziemlich gepfuscht.«
»Mist, Rory Dagg. Ich muss gehen und mit ihm reden. Danke, dass du mir das gezeigt hast, Dave.«
»Schon okay, Ed. Pass auf dich auf, ja?«
Dave kletterte die Leiter hinunter, um sich zu dem Team um die Leiche zu gesellen. Hinabgestiegen in das Reich des Todes, um die Chancen von eins zu einer Million vielleicht ein wenig zu verbessern.
Rory Dagg stand draußen und verschickte gerade eine SMS. Als er mich sah, griff er nach seinem silbernen Notebook und dem durchsichtigen Transportrohr aus Plastik, das offenbar Baupläne enthielt, und ging in Richtung Haupttor.
»Tut mir Leid, dass Sie warten mussten, Mr. Dagg«, sagte ich.
»Begleiten Sie mich einfach«, erwiderte er. Er sprach mit leiser, etwas schleppender Stimme und wirkte freundlich und professionell. »Ich muss noch zu einer anderen Baustelle und bin sowieso spät dran wegen dieser ganzen Geschichte. Donnelly hat Ihnen nicht zufällig gesagt, wann sie fertig sein wollen?«
»Nein. Aber ich glaube nicht, dass es lange dauern wird. Nach zwanzig Jahren in einem Betonblock kann selbst die Forensik nicht mehr viel finden«, sagte ich und versuchte, sorgloser zu klingen, als mir angesichts dieses Leichenfunds eigentlich zumute war.
Wir gingen die Hauptstraße hinauf, auf das alte Rathaus oder, besser gesagt: das McDonald’s zu. Daggs Handy piepste, und er las die eingegangene SMS im Gehen. Er war Mitte vierzig, hatte den drahtigen Körper eines Schwimmers und die Gesichtsfarbe eines Alkoholikers. Das graue, lockige Haar trug er kurz. Er sah aus wie ein Bauingenieur oder ein Unidozent, und tatsächlich, erzählte er mir, war er beides gewesen, hatte sich dann aber für die Bauleitung entschieden, als die Baubranche zu boomen begann und es dort Geld zu verdienen gab. »Außerdem kannte ich den Job schon. Mein Vater war früher Vorarbeiter bei Dawson.«
»Und jetzt ist er in Pension?«, fragte ich.
»Er ist vor zehn Jahren gestorben. Arbeiten Sie für die Polizei, Mr. Loy?«
»Kann man so sagen. Peter Dawson wird vermisst, und seine Frau Linda hat mich beauftragt, ihn zu suchen.«
Dagg schaute von der SMS auf, die er gerade schrieb.
»Ja, ich habe so etwas läuten hören. Dabei habe ich ihn vor ein paar Tagen noch gesehen.«
»Peter hätte seine Frau im High Tide treffen sollen, gleich nach seiner Besprechung mit Ihnen. Nach unseren Informationen sind Sie also einer der Letzten, die ihn gesehen haben. Worum ging es bei Ihrem Treffen?«
Dagg verschickte seine SMS, steckte das Handy ein und zuckte die Achseln.
»Um das Übliche, würde ich sagen. Er war auf der Baustelle und hat seine Fragen zu Budgetüberschreitungen und unvorhergesehenen Kosten gestellt. Die Vorarbeiter haben ihre Berichte abgegeben. Dann hat er noch ein paar Scheine für die Schwarzarbeiter dagelassen. Letzte Woche waren das ein Elektriker und ein paar Schreiner, die wir holen mussten, weil irgend so ’n Künstler mit dem Kango-Hammer einen Sicherungskasten beschädigt hatte. Dann noch die eine oder andere inoffizielle Prämie und das Geld für den Sicherheitsdienst, den wir brauchen, weil die Werkzeuge immer wieder Beine kriegen. Das
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