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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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im Hinblick auf mein Überleben, würde ich sagen, mehr nicht. Doch jetzt hatte ich den Eindruck, dass ich eine durchaus brauchbare Idee hatte. Kakao würde vielleicht nie legal werden, doch was wäre, wenn es legale Wege drumherum gäbe? Möglichkeiten, auf die Daddy, Onkel Yuri und Fats nie gekommen wären.
    Der Bus war noch ungefähr einen Häuserblock von Wins Wohnung entfernt. Ich wollte nicht länger warten. Ich wollte wissen, was er davon hielt. Ich drückte auf den Knopf, weil ich aussteigen wollte, und das tat ich auch.
    An der Eingangstür zu Wins Haus klingelte ich. Charles Delacroix meldete sich. Win und Mrs. Delacroix seien noch unterwegs, doch er rechne jede Minute mit ihnen, falls ich warten wolle. Mr. Delacroix hatte sich immer noch nicht rasiert, doch zumindest war er diesmal angezogen.
    Er führte mich ins Wohnzimmer. Ich war in Gedanken noch bei meiner Vision.
    »Wie geht es dir?«, fragte er.
    »Mr. Delacroix, Sie sind doch Anwalt.«
    »Du bist ja heute sehr geschäftsmäßig, Anya. Ja, ich bin Anwalt. Momentan ein arbeitsloser.«
    »Haben Sie schon mal gehört, dass jemand Arzneikakao verkauft?«, fragte ich.
    Charles Delacroix lachte mich an. »Na, Anya Balanchine, wo bist du denn jetzt hineingeraten?«  
    »In nichts«, erwiderte ich. Ich spürte, dass ich rot wurde. »Ich habe mich nur gefragt, ob es möglich wäre, in dieser Stadt legal Arzneikakao zu verkaufen. Ich habe gehört, dass man ihn auf Rezept bekommen kann.«
    Wins Vater musterte mich eine Weile. »Ja, ich denke, theoretisch könnte man das.«
    »Und wenn das stimmt, könnte ein Ladeninhaber einem Kunden einen Arzneischokoladenriegel verkaufen oder zum Beispiel ein Schokoladen-Vitamin-Shake, so lange es dafür ein Rezept gäbe?«
    Er nickte. »Ja. Obwohl ich den Fragenkomplex genauer recherchieren müsste.«
    »Und wenn Sie noch amtierender Staatsanwalt wären, würden Sie dann jemanden strafrechtlich verfolgen, der in einem Geschäft in Manhattan Arzneikakao verkauft?«
    »Ich … derjenige würde durchaus mein Interesse wecken, ja, aber wenn er einen guten Anwalt hätte, der dafür sorgt, dass alles seine Ordnung hat, und wenn kein Rezept gefälscht wäre, dann würden wir uns wohl nicht weiter um ihn kümmern. Anya, du hast gerade einen verstörend strahlenden Blick. Erzähl mir nicht, dass du so einen theoretischen Ladenbesitzer kennst.«
    »Mr. Delacroix …«
    Win und seine Mutter kamen nach Hause. »Seid ihr beiden jetzt dicke Freunde?«, fragte Mrs. Delacroix.
    Win gab mir einen Kuss. »Waren wir verabredet? Ich dachte, du säßest noch in deinen Prüfungen.«
    »Ich war auf dem Markt und dachte, ich gucke mal vorbei, ob du vielleicht zu Hause bist.« Ich hatte immer noch die Rosen und die Tüte mit dem Chilipulver und dem Kakaokernbruch dabei. Ich erzählte, dass ein Freund meiner Familie aus Mexiko mir ein Rezept geschickt hatte, das ich nun ausprobieren wolle. Wins Mutter erkundigte sich, um was es sich handele. Es war eine Sache, Wins Vater um hypothetische juristische Auskunft zu bitten, doch etwas ganz anderes, in seiner Gegenwart Kakaokonsum zuzugeben. »Ein alter Gesundheitstrunk aus Chiapas«, sagte ich.
    Charles Delacroix hob eine Augenbraue. Ich konnte ihm nichts vormachen.
    »Es ist schon fast dunkel«, sagte Win. »Ich bringe dich nach Hause.«
    »Auf Wiedersehen, Anya«, sagte Charles Delacroix. 
    Als wir auf der Straße waren, nahm Win meine Tasche in die Hand, und ich schob ihm den Arm unter.
    »Worüber hast du dich mit meinem Vater unterhalten?«, fragte er.
    Ich war mit der Absicht zu Win gegangen, ihm von meiner Idee zu erzählen, aber da er nun neben mir stand, konnte ich mich einfach nicht dazu überwinden. Ich wollte nicht sehen, wie er die Stirn runzelte und die Lippen schürzte, weil er meinen Geistesblitz für reinen Unsinn hielt. Erst seit einer guten Stunde dachte ich darüber nach, doch in der kurzen Zeit war mir der Plan schon unheimlich ans Herz gewachsen. Er erschien mir großartig, ein Einfall, der möglicherweise sogar mein Leben ändern konnte. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte ich Hoffnung.
    »Annie?«
    »Ach, nichts«, sagte ich sanft. »Ich habe nur auf dich gewartet.«
    Win blieb stehen und schaute mich an. »Du lügst. Du bist unglaublich gut im Lügen, aber du vergisst eins: Ich weiß, wie du aussiehst, wenn du mich hintergehst.«
    Wie sah ich denn aus, wenn ich log? Das würde ich ihn irgendwann mal fragen müssen. »Ich lüge nicht, Win. Es ging nur um eine

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