Edelherb: Roman (German Edition)
würde oder wenn es auch nur eine Möglichkeit gäbe, das Verbot zu umgehen so wie über die Ausgabestellen, die du vorschlägst, wäre Balanchine Chocolate weg vom Fenster. Wir sind dazu da, einen Schwarzmarkt zu bedienen, Anya. Die einzige Art und Weise, die ich kenne, um ein Restaurant – wenn du es denn so nennen willst – oder jedes andere Geschäft zu führen, ist unter illegalen Bedingungen. Wird Schokolade zugelassen, ist Fats überflüssig. Vielleicht wird Schokolade eines Tages wieder erlaubt, aber bis dahin bin ich hoffentlich tot.«
Ich schwieg.
Fats sah mich mit traurigen Augen an. »Als ich ein Kind war, las mir meine alte senile Oma immer Vampirgeschichten vor. Weißt du, was ein Vampir ist, Anya?«
»So ungefähr. Nicht genau.«
»Das sind übermenschliche Wesen, die gerne menschliches Blut trinken. Ich weiß, das klingt unlogisch, aber Oma Olga war verrückt danach. Und es gibt eine Vampirgeschichte, an die ich mich noch gut erinnern kann. Vielleicht nur deshalb, weil sie die längste war. Ein Menschenmädchen verliebt sich in einen Vampir, er liebt sie auch, aber irgendwie will er sie auch töten. So zieht es sich ewig lange hin. Du kannst dir nicht vorstellen, wie lang! Soll er sie küssen oder beißen? Also, es läuft darauf hinaus, dass er sie sehr ausgiebig küsst – du kannst dir nicht vorstellen, wie ausgiebig! Aber am Ende beißt er sie doch und macht sie zu einer Vampirfrau …«
Ich unterbrach ihn. »Worauf willst du hinaus, Fats?«
»Ich will darauf hinaus, dass ein Vampir immer ein Vampir bleibt. Wir, die Balanchines, sind Vampire, Annie. Wir werden immer Vampire sein. Wir leben des Nachts, im Dunkeln.«
»Das sehe ich anders. Balanchine Chocolate gab es auch schon vor dem Schokoladenverbot. Mein Vater war nicht immer ein Verbrecher. Er war ein ehrbarer Geschäftsmann, der Hindernisse überwinden musste.« Ich schüttelte den Kopf. »Es muss eine bessere Möglichkeit geben.«
»Du bist jung. Es wäre falsch, wenn du das nicht glauben würdest«, sagte Fats. Er griff über den Tisch nach meiner Hand. »Wenn du wieder eine tolle Idee hast, Mädchen, dann komm zu mir.«
Ich ging vom Pool zu Fuß nach Hause. Es war ein langer Weg, vorbei an Holy Trinity und durch den Park. Im Park sah es ungefähr genauso aus wie beim letzten Mal, als ich dort gewesen war: welk, öde. Ich lief über die Große Wiese und war gerade südlich von Little Egypt, als ich ein kleines Mädchen schreien hörte. Es stand neben dem mit Graffiti beschmierten Bronzestandbild eines Bären. Das Kind trug keine Schuhe und war nur mit einem T-Shirt bekleidet. Ich ging zu ihm hinüber. »Ist alles in Ordnung? Kann ich dir helfen?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf und begann zu weinen. In dem Moment wurde ich rücklings von einem Mann angesprungen. Er legte mir den Arm um den Hals. »Gib mir dein Geld!«, forderte er. Offensichtlich arbeitete er mit dem Kind zusammen. Es war eine Falle. Ich kann meine Arglosigkeit nur dem Umstand zuschreiben, dass ich mit den Gedanken woanders und niedergeschlagen war, weil Fats meinen Vorschlag abgelehnt hatte.
Ich hatte nur wenig Geld dabei, das ich dem Mann gab. Zwar trug ich meine Machete bei mir, aber ich hatte nicht vor, jemanden wegen einer so geringen Geldsumme umzubringen.
» STOPP !«, rief eine blecherne Stimme. » DIE KENN ICH !«
Ich schaute in Richtung des Denkmals. Eine junge Frau mit mausgrauem kurzem Haar trat hervor. Es war meine alte Zimmergenossin Mouse.
»Die ist in Ordnung«, sagte sie. »Wir waren zusammen in Liberty.«
Der Mann lockerte seinen Griff. »Wirklich? Die?«
Mouse trat näher heran. »Ja«, sagte sie zu ihrem Kollegen. »Das ist Anya Balanchine. Mit der legst du dich besser nicht an.« Sie roch ekelhaft, ihr verfilztes Haar war dreckig. Ich nahm an, dass sie auf der Straße lebte.
»Mouse«, sagte ich. »Du kannst sprechen.«
»Ja. Ich bin geheilt, dank dir.«
Ich musste sie nicht fragen, was sie hier trieb. Offensichtlich gehörte sie zu einer Bande jugendlicher Krimineller.
Ich fragte Mouse, ob sie je bei Simon Green angerufen hätte.
»Hab ich«, erwiderte sie. »Aber er wusste nicht, wer ich bin, und wimmelte mich mehr oder weniger ab. Ich mach dir keine Vorwürfe. Du hattest viel zu tun.«
»Das tut mir leid«, sagte ich. »Wenn ich dir jemals irgendwie helfen kann …«
»Wie wär’s mit einem Job?«, fragte sie.
Ich erklärte, dass ich aus dem Geschäft raus war, sie aber eventuell finanziell unterstützen
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