Edelherb: Roman (German Edition)
Scarlet, und ihr großer Bauch erinnerte mich daran, dass ich ein ganzes Jahr verpasst hatte. (Es ist ja bekannt, wo ich gewesen war. Sprechen wir einfach von dem verpassten Jahr, während ich anderweitig beschäftigt war …) Ich staunte noch immer über die bittere Süße des Ganzen, als sich Gable Arsley auf den Stuhl neben mir setzte.
»Anya«, grüßte er mich.
Ich nickte und versuchte, ihn nicht anzusehen. Wie bei wilden Tieren hoffte ich, dass er irgendwann verschwinden würde, wenn ich den Blickkontakt vermied.
»Ich habe dich hier gar nicht erwartet«, sagte er.
»Ich bin eingeladen«, erwiderte ich.
»Das sollte keine Beleidigung sein«, gab er zurück. »Ich … du musst für mich mit Scarlet reden.«
Aus dem Augenwinkel sah ich zu ihm herüber und hob die Augenbraue. »Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?«
»Weil sie ein Kind von mir bekommt! Weil sie unvernünftig ist.« Er hielt inne. »Wenn du ihr sagst, dass es für dich in Ordnung ist, vergibt sie mir vielleicht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist für mich aber nicht in Ordnung, Arsley. Du hast Fotos von mir verkauft. Und das war nur der letzte Akt in einer langen Reihe von Vorfällen.«
»Das habe ich nur getan, weil ich das Geld brauchte«, beharrte Gable.
»Als ob es dadurch besser würde.«
Er griff nach meiner Hand.
»Fass mich nicht an!«, drohte ich und entzog ihm meine Finger. »Ganz im Ernst!«
Wieder versuchte er, meine Hand zu nehmen. Ich spürte seine metallenen Finger durch den Handschuh.
»Ich will hier keinen Aufstand.« Erneut wich ich ihm aus.
»Du musst dafür sorgen, dass Scarlet mich heiratet«, sagte er.
»Das kann ich nicht.«
»Sag ihr, dass du mir verziehen hast!«
»Das habe ich aber nicht, Arsley.«
Er ließ sich zurück auf den Stuhl fallen und verschränkte die Arme. »Ich könnte dich immer noch gerichtlich belangen, weißt du das? Wenn ich das nur getan hätte! Dann würde ich nie mehr im Leben arbeiten müssen. Ich hätte massenweise Geld und könnte für Scarlet und das Kind sorgen.«
»Wie edel von dir. Hör zu, Gable. Wenn du wirklich jemanden belangen willst, geh zu Sophia Bitter. Sie war für die vergiftete Schokolade verantwortlich.«
»Sophia Bitter?«, wiederholte er. »Wer ist das denn?«
Win und Scarlet kehrten an den Tisch zurück. »Hallo, Arsley«, sagte Win mit kalter Stimme.
»Belästigt er dich?«, fragte mich Scarlet.
Es war rührend, dass meine Freunde der Meinung waren, Gable Arsley könne für mich immer noch etwas anderes als ein bloßes Ärgernis sein. Unter Norikos Wahnsinnskleid hatte ich mein Lieblingssouvenir aus Mexiko an meinen Oberschenkel geschnallt.
Gable stand auf und humpelte zurück in die Ecke, aus der er gekommen war.
Ein langsameres Lied erklang, und Scarlet bestand darauf, dass Win und ich mindestens einmal zusammen tanzten. »Es ist schließlich Abschlussball, Leute!«
Auf der Tanzfläche zog Win mich eng an sich, und kurz bekam ich eine Vorstellung davon, wie das ganze Jahr hätte sein können, wenn alles anders gekommen wäre.
Ich spürte, dass er erstarrte, als sein Oberschenkel die Machete streifte.
»Musst du das Ding immer dabeihaben?«, fragte er.
Ich spürte, dass ich errötete. »Es tut mir leid. Aber so bin ich nun mal, Win.«
Er nickte. »Wollte dich bloß ärgern. Ich weiß das.« Er schob mir eine Locke aus der Stirn.
»Entweder die Machete oder Daisy Gogol«, scherzte ich. »Bei diesem Abschlussball wird niemand auf meinen Freund schießen.«
Win pochte durch mein Kleid auf die Machete. »Ich habe mich schon gefragt, warum du unbedingt durch die Hintertür reinkommen wolltest.«
»Metalldetektoren«, sagte ich.
»Gut, kann ich verstehen. Ich möchte sehr lange Teil deines Lebens sein, und das ist einfacher, wenn ich selbst auch lebe.«
Das langsamere Stück ging in ein schnelleres Lied über, und Win kam zu dem Schluss, dass wir beide genug auf diesem Ball gelitten hatten. Scarlet wollte bei mir übernachten, daher holten wir sie ab, bevor wir nach draußen gingen, um mit dem Bus quer durch die Stadt nach Hause zu fahren.
Draußen standen viele Jungs in schwarzen Sakkos, meiner war der einzige in einem weißen.
XIX. Ich mache meinen Abschluss, und es gibt noch einen Antrag
Anfang Mai, als Natty für ihre Jahresabschlussprüfungen lernte und meine ehemaligen Klassenkameraden sich ihre Barette und Umhänge anfertigen ließen, machte ich mein Diplom für die Hochschulreife. Die Prüfung fand im Schulamt der Stadt
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