Edelherb: Roman (German Edition)
Land selbst, sondern die Freunde und das Gefühl, Teil von etwas zu sein, das der Mühe wert war. Theo und ich waren im Schokoladengeschäft aufgewachsen, doch sein Leben war völlig anders als meins. Da Schokolade in Mexiko nicht verboten war, hatte er sein ganzes Leben in der Öffentlichkeit verbracht, während ich mich immer versteckt und geschämt hatte. Ich nehme an, das war der Grund, warum mich die Idee mit dem Arzneikakao so faszinierte.
Ich wollte gerade gehen, als Charles Delacroix auf die Dachterasse kam.
»Wie hältst du es nur hier oben in dieser Hitze aus?«, fragte er.
»Ich mag sie«, sagte ich.
»Das hätte ich mir bei dir denken können«, erwiderte er und setzte sich neben mich auf die Bank. »Wie läuft das Geschäft mit dem Arzneikakao?«
Ich erzählte ihm, dass ich die Idee den Entscheidern von Balanchine Chocolate vorgelegt hatte und dass sie geradeheraus und ohne viel Federlesen abgelehnt worden war.
»Das tut mir leid zu hören«, sagte Charles Delacroix. »Ich fand, es war ein gutes Konzept.«
Erstaunt sah ich ihn an. »Wirklich?«
»Ja.«
»Ich hätte gedacht, Sie halten es für Augenwischerei.«
Er schüttelte den Kopf. »Du kennst dich nicht gut mit Anwälten aus. Wir leben für die Grauzonen.« Er nickte und strich sich über den Bart. »Genau genommen leben wir darin.«
»Wollen Sie sich das Ding nicht mal abrasieren? Damit sehen Sie aus wie ein Penner aus dem Park.«
Charles Delacroix überhörte mich. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Idee deinem Cousin Sergei, oder ›Fats‹, bedrohlich vorkam – es wird erzählt, dass er jetzt derjenige ist, der die
Semja
leitet. Ich bin nicht mehr up to date, aber ich bemühe mich, auf dem Laufenden zu bleiben. Wahrscheinlich hat er gesagt, das Geschäftsmodell von Balanchine basiere auf dem Grundsatz der illegalen Versorgung, was natürlich auch stimmt.«
»So ähnlich.« Ich hielt inne. »Sie sind total davon überzeugt, dass Sie immer alles wissen, oder?«
»Nein, Anya. Wenn das so wäre, würde ich jetzt Reden im Rathaus halten statt auf einer Schulabschlussfeier. Aber was deinen Cousin betrifft, dessen Reaktion kann ich vorhersagen, weil sie absolut vorhersagbar ist. Er ist ein Mann, der sich nach oben gedient hat, ein Mann mit seinem eigenen Mondscheincafé. Ja, darüber weiß ich Bescheid. Natürlich. Was du erzählt hast, muss einem Typen wie ihm Angst machen.«
Das alles war jetzt nicht mehr wichtig.
»Mach es trotzdem«, sagte Charles Delacroix.
»Was?« Ich erhob mich von der Bank.
»Es ist eine großartige Idee, vielleicht sogar eine visionäre. So was hat man nicht jeden Tag. Es ist eine Chance, wirklich mal etwas zu verändern, und ich glaube, man könnte damit auch Geld verdienen. Du bist jung, und das ist gut. Und dank mir weißt du das eine oder andere über Schokolade. Irgendwann musst du mir mal alles über deine Reise nach Mexiko erzählen.«
Er wusste von Mexiko? Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, doch ich war wohl erfolglos. Charles Delacroix lächelte mich an.
»Bitte, Anya! Ich habe dich doch praktisch auf das Schiff gesetzt, oder?«
»Mr. Delacroix, ich …«
»Sorg dafür, dass du eine gute Security-Mannschaft hast – dieser Schrank von Frau ist schon mal ein guter Anfang – und einen noch besseren Anwalt. Dieser Mr. Kipling reicht nicht. Du brauchst einen mit Fachwissen in bürgerlichem Recht, in Vertragsrecht und so weiter …«
In dem Moment kam Win auf die Dachterrasse. »Langweilt Dad dich schon wieder?«
»Anya hat mir von ihren Plänen fürs nächste Jahr erzählt«, sagte Charles Delacroix.
Win sah mich an. »Was für Pläne denn?«
»Dein Vater macht Witze«, sagte ich. »Ich habe keine Pläne.«
Charles Delacroix nickte. »Na, das ist wirklich schade.«
Win verteidigte mich. »Nicht alle gehen direkt nach der Highschool zum College, Dad. Einige der interessantesten Menschen gehen überhaupt nicht zum College.«
Sein Vater sagte, das sei ihm bekannt, es gebe viele Möglichkeiten, im Leben zu lernen.
Als Charles Delacroix wieder ins Haus gegangen war, sagte Win, er würde sich wundern, dass ich noch höflich zu seinem Vater sein könnte nach allem, was er uns im letzten Jahr angetan hätte.
»Er hat nur seine Arbeit gemacht«, bemerkte ich.
»Siehst du das wirklich so? Du bist nachgiebiger, als ich dachte.«
»Stimmt.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und beugte mich vor, um ihn zu küssen. »Der schlimmste Fehler, den ich je gemacht habe, war,
Weitere Kostenlose Bücher