Edelherb: Roman (German Edition)
könnte.
Mouse schüttelte den Kopf. »Ich nehme keine Almosen, Anya. Wie ich schon in Liberty gesagt habe: Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt selbst.«
Ich war ihr auf jeden Fall etwas schuldig. »Vielleicht könnte mein Cousin Fats dir einen Job anbieten.«
»Ja? Fände ich gut.«
Ich fragte sie, wie ich sie erreichen könne. »Ich bin hier«, sagte sie. »Ich schlafe hinter dem Denkmal vom Bären.«
»Schön, endlich mit dir zu sprechen, Kate«, sagte ich.
»Psst«, machte sie. »Der Name ist geheim.«
Als ich nach Hause kam, rief ich als Erstes Fats an. Er sagte, er würde sich freuen, meiner Freundin einen Job zu verschaffen. Auch wenn er den Vorschlag, der uns meiner Meinung nach alle retten würde, abgetan hatte, war Fats trotz allem ein guter Kerl.
Am Abend kam Win vorbei. »Du bist still«, sagte er.
»Ich fand, ich hätte eine richtig schlaue Idee«, sagte ich. Ich beschrieb ihm meinen Einfall und legte ihm dann die Gründe dar, weswegen es laut Fats nicht funktionieren würde.
»Darum ging es also bei dem Besuch von ›Kakao jetzt!‹ und deshalb warst du die ganze Zeit so verschlossen«, sagte Win.
Ich nickte. »Ich hab mir so gewünscht, dass es klappt.«
Er nahm meine Hand. »Ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch, aber ich bin irgendwie froh, dass nichts daraus wird. Selbst wenn es eine Möglichkeit gäbe, Schokolade legal zu verkaufen, würdest du doch ständig vor Gericht stehen. Du würdest gegen das Rathaus und die öffentliche Meinung ankämpfen, selbst gegen deine eigene Familie, so wie es sich anhört. Warum willst du das alles auf dich nehmen? Die Begründung kann doch wohl nicht sein, dass du nicht weißt, was du nach der Schule machen sollst.«
»Win! Das ist doch nicht der Grund! Für wie dämlich hältst du mich?« Ich schüttelte den Kopf. »Für dich klingt es vielleicht albern, aber ein Teil von mir wollte wohl immer diejenige sein, die Balanchine Chocolate wieder auf die richtige Seite des Gesetzes führt. Für meinen Vater.«
»Hör zu, Annie. Du hast die Geschäfte an Fats abgegeben. Sophia und Mickey sind weg. Yuji Ono ebenfalls. Du kannst jetzt wirklich frei sein. Das ist ein Geschenk, wenn du es als solches begreifen kannst.«
Er küsste mich, aber ich wollte nicht geküsst werden.
»Bist du sauer auf mich?«, fragte er.
»Nein.« Doch es stimmte.
»Schau mir in die Augen!«
Ich wandte ihm den Kopf zu.
»Mein Vater ist genauso.«
»Vergleich mich nicht mit ihm!«
»Er hat in den letzten sechs Monaten nichts mehr getan, weil er die Wahl verloren hat, obwohl es in Wirklichkeit ein Segen für uns alle war. Für mich. Für dich. Für meine Mutter. Und besonders für ihn, wenn der Idiot nur einfach die Augen aufmachen und das erkennen würde.«
Ich sagte so lange nichts, bis Win schließlich das Thema wechselte.
»Die Abschlussfeier ist nächsten Mittwoch. Kommst du mit?«, fragte er.
»Willst du das denn?«, gab ich zurück.
»Ist mir egal«, sagte er.
Doch er musste es wohl wollen, sonst hätte er es nicht angesprochen.
»Ich halte die Rede, falls es dich interessiert«, warf er ein.
»Finde ich gut. Du bist klug. Das vergesse ich manchmal.«
»He!« Win grinste.
Ich fragte ihn, ob er schon wüsste, was er sagen würde.
»Das wird eine Überraschung«, sagte er.
Und so landeten Natty, Noriko und ich auf der Highschool-Abschlussfeier von Holy Trinity.
Wins Rede war, würde ich sagen, teilweise an mich und teilweise an seinen Vater gerichtet. Es ging darum, dass man hinterfragen sollte, was die Gesellschaft einem sagt, dass man sich vor den Behörden behauptet und um andere Dinge, die wahrscheinlich schon bei zahllosen Abschlussfeiern gesagt worden waren. Win hatte das Rednertalent seines Vaters geerbt, so dass es kaum wichtig war, was er sagte, das Publikum war in jedem Fall begeistert. Ich klatschte ebenso enthusiastisch wie alle anderen.
Fühlte ich einen Stich, als ich meine Klassenkameraden auf die Bühne treten sah? Ja, schon. Sogar mehr als nur einen Stich.
Scarlet winkte uns zu, als sie ihr Zeugnis entgegennahm. Nach einigem Hin und Her hatte die Verwaltung ihr zugestanden, schwanger zur Abschlussfeier zu kommen. Im Grunde genommen glich der schwarze Umhang der Absolventen einem Schwangerschaftskleid, so dass Scarlet gar nicht groß auffiel. Und von Trinitys Standpunkt aus war es deutlich schlimmer, ein Baby
nicht
zu behalten, als es auszutragen. Gable holte Scarlet auf der anderen Seite der Bühne ab und half ihr die Stufen
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