Edelherb: Roman (German Edition)
mich nur, mehr nicht.« Ich versuchte, mehr aus ihm herauszukitzeln, doch er äußerte sich nicht weiter dazu.
Ich kümmerte mich um die anderen Gäste. Ehe ich mich versah, war es zwanzig nach elf, und es waren nur noch Scarlet und Gable da. Sie sagte, ich solle nach Hause gehen, doch ich blieb. Ich wusste, dass Gable ihr beim Aufräumen keine große Hilfe sein würde.
»Das war doch jetzt nicht ganz so furchtbar, oder?«, fragte sie mich. »Hoffentlich hast du mich nicht den ganzen Abend verflucht.«
»Natürlich nicht, du dumme Gans.« Ich gab Scarlet einen Kuss auf die Wange. »Ich habe noch keine treuere und zuverlässigere Freundin als dich gehabt.«
»Ach, wie rührend«, sagte Gable sarkastisch. »Können wir jetzt bitte nach Hause gehen?«
Da es schon spät war, zehn Minuten vor der Sperrstunde, bestand mein Cousin Fats darauf, mich zurück zur Upper East Side zu bringen.
Wir warteten auf den Bus, als ein schwarzer Wagen an der Haltestelle hielt. Die Tür ging auf. Kurz fragte ich mich, ob ich nun erschossen würde. War das jetzt mein Ende?
Fats griff in seine Tasche. Nur für den Fall, dass er schießen musste, vermutete ich.
Yuji Ono beugte sich aus dem Auto. »Taxi gefällig, Anya?« Ich nickte Fats zu, damit er wusste, dass alles in Ordnung war, dann stieg ich ins Auto.
Im Laufe des Abends hatte ich mehrere Tassen Kaffee getrunken, um der Illusion Vorschub zu leisten, ich sei eine schillernde Partylöwin. Kaum hatte ich mich hingesetzt, spürte ich die Wirkung des Koffeins auf meinen Körper. Mein Herz schlug wie das eines Kolibris. Ich lief rot an, fühlte mich verwegen, aufgeputscht. Ich war mehr Scarlet als ich selbst. »Ich dachte, du wärst sauer auf mich«, sagte ich zu Yuji.
»Bin ich auch«, antwortete er. »Empört.« Ich wusste nicht, ob er das ernst meinte.
»Wie geht es meinem Bruder?«, fragte ich.
»Sehr gut«, versicherte er mir. »Ich habe ein Geschenk für dich, aber erst wenn du mir verrätst, warum du Mickey Balanchine vernachlässigt hast.«
Daddy hatte immer gesagt, dass Menschen, die nach Ausreden suchten, Versager seien. »Es war schwerer, von Liberty wieder ins Leben zu finden, als ich gedacht hatte.«
»Du meinst, eine weiterführende Schule zu finden?« Yuji Ono verzog das Gesicht. »Warum brauchst du überhaupt einen Highschoolabschluss?«
»Wäre es dir lieber, ich wäre ungebildet? Ein Hohlkopf?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber die Sachen, die du wissen musst, lernst du nicht in der Schule.«
»Jedes Mal, wenn ich dich sehe, belehrst du mich«, klagte ich.
»Das tue ich nur, weil ich auf dich setze, Anya. Du wirst mir bestimmt beipflichten, dass ich mich für dich weit aus dem Fenster gelehnt habe.«
»Ja, das stimmt, Yuji.«
»Du bist meine Investition.«
»Trotzdem bin ich nicht dein Eigentum.«
Der Wagen fuhr am südöstlichen Rand des Parks entlang. Yuji griff in seine Tasche. Er nahm meine Hand und öffnete sie. Dann legte er einen kleinen Löwen aus Holz auf meine Handfläche.
»Hat Leo den gemacht?«, fragte ich leise.
»Ja, er hat angefangen zu schnitzen.«
Ich betrachtete den Löwen, ein Miniaturwunder. Leo hatte diesen Gegenstand gefertigt. Leo war in Sicherheit. Ich lächelte Yuji an und versuchte, nicht zu weinen. »Das hat er gut gemacht.«
Ich wollte mich bei Yuji bedanken. Gerade als ich ihm einen Kuss auf die Wange geben wollte, fuhr das Auto durch ein Schlagloch, und mein Mund landete auf seinen Lippen. Es war alles andere als romantisch. Seine Zähne schlugen gegen meine. »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich hatte auf deine Wange gezielt. Ein Schlagloch, weißt du? Schlimm, diese Stadt!«
Yuji errötete. »Ich weiß, Anya.« Er sah mich mit seinen dunklen Augen an. »Du würdest nie versuchen, einen alten Mann wie mich auf den Mund zu küssen.«
»Du bist doch nicht alt, Yuji!«, protestierte ich.
»Im Vergleich zu dir schon.« Er schaute aus dem Fenster. »Außerdem habe ich gehört, dass du heimlich wieder mit deinem alten Freund zusammen bist. Mit dem Sohn dieses Politikers.«
Ich drehte mich auf meinem Sitz zu ihm um. »Was? Das stimmt doch überhaupt nicht! Wer hat das behauptet?«
»Mickey und Sophia vermuten es.«
»Die kennen mich doch kaum! Die sollten besser den Mund halten.«
»Aber du bist wieder an deiner alten Schule, oder?«, fragte Yuji.
»Nur weil mich keine andere nehmen wollte. Yuji, es ist mir unmöglich, mit Win zusammen zu sein. Und du solltest wissen, dass allein der Verdacht für mich eine
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