Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
Vom Netzwerk:
Arsley, Scarlet und sie dabei waren.«
    Ich verstand immer noch nicht. »Warum sollte deine Freundin so was tun?«
    »Anya! Erzähl mir nicht, dass du das nicht kapierst!«
    »Was kapiere ich nicht?«
    »Alison ist mit unserer Familie befreundet und arbeitet auch im Wahlkampfteam meines Vaters. Sie wurde gefragt, ob sie für die Dauer des Wahlkampfs meine Freundin spielen würde, damit die Leute sehen, dass ich die Beziehung zu Anya Balanchine – zu dir – beendet habe. Es war Juli, du hattest mit mir Schluss gemacht, und ich wollte meinem Vater trotz allem helfen. Wie sollte ich ablehnen? Er ist mein Vater, Anya. Ich liebe ihn. So wie dich.«
    Wäre Anya Balanchine, also ich, nicht ans Bett gefesselt gewesen, hätte sie am liebsten das Zimmer verlassen. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf würde explodieren, mein Herz ebenfalls. Win griff über die Seitenleiste des Bettes und wischte mir mit dem Ärmel über die Wange. Wahrscheinlich weinte ich. »Du hattest wirklich keine Ahnung?«
    Ich schüttelte den Kopf. Mein Hals war geschwollen, meine Stimme versagte mir den Dienst. »Ich dachte, du wärst mich leid«, sagte ich und war dabei ungefähr so schwer zu verstehen wie mein Onkel Yuri.
    »Annie«, sagte Win, »Annie, das wäre niemals möglich.«
    »Wir werden uns sehr lange nicht sehen können«, flüsterte ich.
    »Ich weiß«, flüsterte er zurück. »Dad hat gesagt, dass es dazu kommen könnte.«
    »Es könnten Jahre werden.«
    »Ich werde warten«, erwiderte er.
    »Das will ich nicht«, sagte ich.
    »Es hat für mich nie eine andere gegeben als dich.« Er schaute sich über die Schulter um, prüfte, ob wir beobachtet wurden. Dann beugte er sich über das Bett und legte die Hand an meinen Hinterkopf. »Ich liebe deine Haare«, sagte er.
    »Die schneide ich ratzekahl ab.« Simon Green und ich waren zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht so schnell zu erkennen wäre, wenn ich ohne meine langen Haare unterwegs war. Auf Ellis Island würde eine Schere auf mich warten.
    »Wie schade! Ich bin froh, dass ich das nicht sehen muss.« Er zog meinen Kopf näher an sich heran, dann küsste er mich, und obwohl ich damit wohl mein Glück herausforderte, erwiderte ich seinen Kuss.
    »Wie kann ich dich erreichen?«, fragte er.
    Ich dachte nach. E-Mails waren zu gefährlich. Die Adresse der Kakaoplantage konnte ich ihm nicht geben, selbst wenn ich sie gewusst hätte. Vielleicht konnte Yuji Ono mir einen Brief zukommen lassen. »Geh in ein oder zwei Monaten zu Simon Green. Er wird wissen, wie du mich erreichen kannst. Wende dich aber nicht an Mr. Kipling.«
    Win nickte. »Wirst du mir schreiben?«
    »Ich versuche es«, versprach ich.
    Wieder griff er über die seitliche Leiste und legte die Hand auf mein Herz. »In den Nachrichten wurde gesagt, das hier hätte fast aufgehört zu schlagen.«
    »Manchmal wäre mir das lieber. Wozu soll das alles gut sein, hm?«
    Win schüttelte den Kopf. »Sag nicht so was!«
    »Von allen möglichen Freunden der Welt bist du der am wenigsten geeignete, den ich mir hätte aussuchen können.«
    »Du ebenfalls. Freundin, meine ich.«
    Er bettete seinen Kopf auf meine Brust, und wir lagen still da, bis die Besuchszeit vorbei war.
    Auf dem Weg zur Tür zupfte er seine alberne Perücke zurecht.
    »Wenn du jemand anders kennenlernen solltest, habe ich absolutes Verständnis dafür«, sagte ich zu ihm. Schließlich waren wir siebzehn Jahre alt, und unsere Zukunft war unsicher. »Wir sollten uns nichts versprechen, was zu schwer einzulösen ist.«
    »Glaubst du das wirklich?«
    »Ich versuche es«, sagte ich.
    »Kann ich irgendwas für dich tun?«, fragte Win.
    Ich überlegte. »Vielleicht hin und wieder nach Natty schauen. Sie himmelt dich an, und ich weiß, dass sie einsam sein wird ohne mich.«
    »Mache ich gerne.«
    Und damit war er fort.
    Ich konnte nichts anderes mehr tun als warten.
     
    Mitten in der Nacht um 1 . 55  Uhr hörte ich Krankenschwestern und Wärter durch den Korridor laufen. Ich rief eine der Schwestern zu mir. »Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Im Mädchenschlafsaal gab es eine Prügelei«, erklärte sie. »Es werden ein halbes Dutzend stark verletzte Mädchen hergebracht. Ich muss los!«
    Ich nickte. Danke, Mouse. Ich betete, dass es sie nicht allzu schlimm getroffen hatte.
    Es war so weit. Ich zog den Schlüssel unter der Matratze hervor und schloss die Handschellen auf. Meine Handgelenke waren wund, aber dafür war jetzt keine Zeit. Ohne Schuhe und mit offenem Krankenhaushemd

Weitere Kostenlose Bücher