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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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an ihn herangetreten und hätte ihm dickes Geld versprochen, wenn er ein Foto von Anya Balanchine und Win Delacroix in einer kompromittierenden Situation liefern könnte. Dann versuchte Gable sich damit zu rechtfertigen, dass du ihm das Geld schuldig wärst, weil er wegen dir so viel verloren hätte, seinen Fuß, sein gutes Aussehen und so weiter. Er meinte, wenn er es nicht getan hätte, hätte jemand anders das Foto gemacht.«
    Scarlet fing wieder an zu weinen. »Ich komme mir so unglaublich dumm vor, Annie!«
    Ich tröstete sie, es sei nicht ihre Schuld. »Wie viel Geld er wohl bekommen hat?«
    »Keine Ahnung. Aber ich hasse ihn. Ich hasse ihn so sehr!« Vornübergebeugt stand sie an der Tür und schluchzte. Ich wollte sie trösten, war aber wegen der Handschellen bewegungstechnisch stark eingeschränkt.
    »Scarlet, komm mal her!«
    »Ich kann nicht. Ich ekle mich vor mir selbst. Ich habe diese falsche Schlange wieder in dein Leben gelassen. Du hast mich vor ihm gewarnt. Ich hätte einfach nicht gedacht, dass du diejenige wärst, die darunter leiden muss.«
    »Ehrlich gesagt, Scarlet, hätte ich mich niemals auf so eine Situation mit Win einlassen dürfen.«
    »Was für eine Situation? Ihr habt zusammen gegessen.« Scarlet ergriff immer Partei für mich.
    »Win hätte nicht meine Hand nehmen dürfen, ich hätte es nicht zulassen dürfen. Wahrscheinlich hätte ich auch nicht nach Trinity zurückkehren sollen. Und in einem Punkt hat Gable recht. Wenn er es nicht gemacht hätte, dann hätte jemand anders das Bild gemacht, das kannst du mir glauben. Mit oder ohne Gable – es wäre eh so gekommen. Eines Tages werde ich das alles besser erklären können.«
    Scarlet näherte sich meinem Bett. »Du musst wissen, dass ich nichts damit zu tun hatte.«
    »Scarlet, das würde ich doch niemals denken!«
    Sie senkte die Stimme. »Ich habe ihm nie erzählt, was wir für Leo getan haben.«
    »Das habe ich auch nicht angenommen.«
    Scarlet lächelte schwach. Plötzlich stürzte sie quer durch das kleine Krankenzimmer ins Bad, wo sie sich übergab. Ich hörte die Toilettenspülung rauschen. »Ich glaube, ich bekomme eine Grippe«, erklärte sie, als sie zurückkehrte.
    »Geh besser nach Hause«, sagte ich.
    »Ich komme dich besuchen, sobald es mir wieder bessergeht. Ich hab dich lieb, Annie. Ich gebe dir lieber keinen Kuss, sonst wirst du auch noch krank.«
    »Ist mir egal. Kannst mir trotzdem einen Kuss geben«, sagte ich. Falls sie es bis Samstag nicht mehr schaffte, mich zu besuchen, wollte ich mich wenigstens richtig von ihr verabschiedet haben.
    »Na gut, Annie, wie du willst.«
    Sie gab mir einen Kuss, und ich nahm ihre Hand. »Du brauchst dir in dieser Sache überhaupt keine Vorwürfe zu machen, Scarlet. Mir tut es nur leid, dass die Tragödien, die mich geradezu verfolgen, dir auch Kummer bereiten. Was ich nach der Party zu dir gesagt habe … Du bist wirklich die treuste und zuverlässigste Freundin, die man sich nur wünschen kann. Wenn ich an die letzten beiden Jahre denke, kann ich mir nicht mal ansatzweise vorstellen, wie trostlos alles ohne dich gewesen wäre.«
    Scarlet lief scharlachrot an und machte damit ihrem Namen alle Ehre. Sie nickte, dann war sie fort.
    Der Rest der Woche verging wie im Flug; ich plante meine Flucht und bekam Besuch von so gut wie jedem, den ich kannte.
    Am Donnerstag hatten Simon Green und ich nahezu alles arrangiert. Am Sonntagmorgen sollte ich von der Krankenstation entlassen werden. Wenn in der Samstagnacht beziehungsweise am frühen Sonntagmorgen die Nachtschwester ein letztes Mal nach mir gesehen hätte, würde ich mein Bett verlassen und irgendwie aus dem Krankentrakt hinausgelangen zur Küste von Liberty Island. Von dort würde mich ein Ruderboot nach Ellis Island bringen. Auf der Insel wartete ein anderes Boot auf mich, das mich in die Newark Bay fuhr, wo ich in ein Frachtschiff umsteigen würde, dessen Ziel die Westküste von Mexiko war. Wenn am Morgen die Krankenschwestern kämen, um mich zurück in den Schlafsaal von Liberty zu bringen, wäre ich längst fort.
    Simon hatte mir einen nachgemachten Handschellenschlüssel gebracht, den ich seitlich unter das Laken der Matratze schob. Das Einzige, was wir nicht geklärt hatten, war, wie ich an den Wärtern am Ende des Korridors vorbeikommen sollte. »Hast du hier niemanden, der irgendwie für Ablenkung sorgen könnte?«, fragte Simon. Widerstrebend dachte ich an Mouse und ihre Versicherung, sie könne richtig »hart sein«. Auch

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