Edelherb: Roman (German Edition)
temperiert und zum Schluss abgefüllt. Für jeden einzelnen Schritt gab es einen anderen Raum. Am Ende dieser Prozedur stand die puck-ähnliche Schokoladenscheibe, die das Markenzeichen der Marquez’ war. Zum Abschluss des Rundgangs reichte mir Theo eine dieser Scheiben. »Und jetzt kennst du die gesamte Lebensgeschichte von
Theobroma Cacao
von Anfang bis Ende.«
»Theobroma?«,
fragte ich.
»Ich habe doch gesagt, es ist ein Familienname«, gab Theo zurück. Dann erklärte er mir, dass er nach der Gattung des Kakaobaums benannt worden war, ein von einem Schweden erdachter griechischer Name, inspiriert von den Maya und den Franzosen. »Du siehst also, mein Name ist international.«
»Es ist ein wunderschöner Name …«
»Ein bisschen weiblich, hast du das nicht mal gesagt?«
»Da, wo ich herkomme, würde man dich wahrscheinlich für einen Verbrecher halten, sobald man über deinen Namen Bescheid wüsste«, sagte ich, ohne nachzudenken.
»Tja … Ich habe mich schon oft gefragt, warum ein Mädchen aus einem Land, in dem man keinen Kakao anbauen kann und in dem das Lebensmittel verboten ist, sich so sehr für dessen Herstellung interessiert, dass sie nach Chiapas kommt und dort bei einer Familie wohnt. Wieso interessierst du dich für Kakao, Anya?«
Ich errötete. Wir gelangten allmählich auf gefährliches Terrain. »Ich habe … Also, mein Vater ist tot, und am liebsten hat er Schokolade gegessen.«
»Ja, das leuchtet ein.« Theo nickte. »
Si, si.
Aber was hast du mit all deinem Wissen vor, wenn du wieder zu Hause bist?«
Zu Hause? Wann würde ich nach Hause zurückkehren? Es waren fast dreißig Grad draußen, die Schokolade in meiner Hand wurde allmählich weich. »Vielleicht beteilige ich mich bei der Legalisierungsbewegung? Oder ich …« Ich wollte ihm mehr von mir erzählen, doch das ging nicht. »Ich weiß es noch nicht, Theo.«
»Dann hat dich also dein Herz nach Mexiko geführt. Ja, so ist das manchmal. Wir machen Dinge, ohne genau zu verstehen, warum, nur weil unser Herz uns sagt, dass wir es tun müssen.«
Theo hätte nicht weniger von dem begreifen können, wie es bei mir aussah.
»Komm, Anya, wir müssen zurück zur Farm. Am Abend nach der Ernte machen meine Großmütter immer eine
Mole
. Das dauert den ganzen Tag, und es ist eine
mucho
große Sache, deshalb dürfen wir nicht zu spät kommen.«
Ich fragte ihn, was eine
Mole
sei.
»Du hast noch nie
Mole
gegessen? Jetzt tust du mir aber sehr leid. Du bist so benachteiligt«, sagte Theo.
Mole
war tatsächlich eine
mucho
große Sache, die zu kochen Theos Großmütter den gesamten Tag benötigten. Die Feldarbeiter waren zum Essen eingeladen, ebenso wie alle Nachbarn. Selbst Castillo kam vom Priesterseminar nach Hause. Es drängten sich wohl um die fünfzig Personen um den langen Esstisch der Marquez’. Ich saß neben Castillo und Luna, da sie abgesehen von Theo und seiner Mutter die Einzigen waren, die sich auf Englisch unterhalten konnten. Nachdem Castillo ein Dankgebet gesprochen hatte, begann das Festmahl.
Es stellte sich heraus, dass
Mole
im Grunde genommen ein Puteneintopf mexikanischer Art war. Das Gericht war würzig, sättigend und ziemlich lecker. Ich nahm mir einmal, zweimal Nachschlag.
»Du
mögen
«, sagte
bisabuela
zu mir mit ihrem zahnlückigen Lächeln, als sie mir noch eine Portion aufgab.
Ich nickte. »Was ist da drin?« Ich stellte mir vor, wie ich meine Familie schockierte, indem ich mein übliches Repertoire aus Makkaroni und Käse einmal mit so was aufpeppte.
»Secreto de familia«,
sagte sie und fügte etwas auf Spanisch hinzu, das über meine immer noch begrenzten Kenntnisse hinausging.
Castillo erklärte: »Sie hat gesagt, sie würde dir gerne sagen, was drin ist, aber sie kann es nicht. Sie glaubt nicht an Rezepte, und besonders bei Mole glaubt sie überhaupt nicht dran. Das Gericht ist jedes Mal anders.«
»Aber«, beharrte ich, »es muss doch allgemeine Anhaltspunkte geben. Ich meine, was macht die Soße so sättigend?«
»Die Schokolade natürlich! Hast du dir das nicht gedacht, wo meine Großmütter das Gericht direkt nach der Ernte machen?«
Truthahn mit Schokoladensoße? Davon hatte ich allerdings noch nie gehört. »Wo ich herkomme, könntest du das nicht servieren«, sagte ich zu Castillo.
»Deshalb möchte ich ja auch nie nach Amerika«, gab er zurück und leerte den nächsten Teller.
Ich lachte ihn an.
»Du hast Soße im Gesicht«, bemerkte er.
»Oh!« Ich nahm meine Serviette und betupfte
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