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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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meine Mundwinkel.
    »Lass mich mal«, sagte Castillo, griff zu meiner Serviette und tunkte sie in ein Wasserglas. »Die Sache ist viel ernsthafter, als du denkst.« Energisch wischte er mir übers Gesicht, so als sei ich ein kleines Kind.
    Zum Nachtisch gab es ein Dessert namens
Tres Leches
, ein Biskuitkuchen mit drei Sorten Sahne. Einer der Feldarbeiter holte seine Gitarre hervor, und die Gäste begannen zu tanzen. Theo tanzte mit jedem weiblichen Wesen, darunter seine Schwester, seine Mutter und seine beiden Großmütter. Ich saß allein in der Ecke, satt und zufrieden, und vergaß eine Weile all die Probleme und Menschen, die ich zurückgelassen hatte. Und dann war der Abend vorbei. Theos Mutter Luz verteilte die übriggebliebene Mole auf Behälter zum Mitnehmen, damit alle noch eine
segunda cena
genießen konnten, ein Nachtmahl.
    Als die Gäste fort waren, wollte ich die Stühle an ihren Platz zurückstellen. »Nein, nein, Anya«, sagte Luz zu mir und tätschelte meine Hand. »Das machen wir alles morgen.«
    »Ich bin nicht gut im Verschieben«, sagte ich.
    »Musst du aber. Komm mit in die Küche.
Mi madre
macht Schokolade für die ganze Familie.« Damit meinte sie das Getränk, das mir am ersten Morgen nach dem Aufwachen serviert worden war. Ich war ganz erpicht darauf, in die Küche zu gehen und zu sehen, welche Zutaten man brauchte. Theo, Luna und Castillo saßen bereits am Küchentisch; Bisabuela musste zu Bett gegangen sein. Auf den Arbeitsflächen stapelten sich Töpfe, Pfannen, Geschirr und Kochabfälle. Neben Abuela lagen die Reste einer Chilischote, eine Orangenschale, ein zur Hälfte mit Honig gefüllter Plastikbär und etwas, das wie die zerdrückten Blätter einer roten Rose aussah.
    »Nein, nein, nein«, sagte Abuela, als sie mich erblickte, und schirmte die Arbeitsfläche vor mir mit den Armen ab. Ich merkte, dass es ein Witz sein sollte, und war deshalb nicht beleidigt.
    »Ich gucke auch nicht zu«, versprach ich.
    Dann sagte Abuela wie so oft etwas auf Spanisch, das ich nicht verstand, ich schnappte jedoch meinen Namen auf. Daraufhin stürzte Theo aus dem Zimmer.
    »Theo!«, rief Luz ihm nach, »komm zurück,
bebé
! Abuela hat nur Spaß gemacht!« Luz schimpfte mit ihrer Mutter: »Mama, du sollst ihn nicht immer mit so etwas ärgern!«
    »Was ist denn?«, fragte ich. »Was ist passiert?«
    »
No es nada,
Anya. Großmutter hat einen kleinen Witz auf Theos Kosten gemacht«, erklärte Luna.
    »Ich habe meinen Namen gehört«, beharrte ich.
    Castillo seufzte. »Abuela hat gesagt, Anya könnte das Rezept bekommen, wenn sie ein Mitglied der Familie wird.«
    Ich sah die Alte an. Sie zuckte mit den Achseln, als wollte sie sagen:
Was soll ich machen?
Dann schlug sie grimmig die geheimnisvolle Flüssigkeit auf, die sich in dem Topf vor ihr befand.
    Ich sagte, ich würde mit Theo sprechen.
    Ich ging ins Wohnzimmer, aber er war nicht da, deshalb suchte ich mir eine Taschenlampe und lief hinaus auf die Plantage, wo Theo sich am liebsten aufhielt. Obwohl es dunkel war, wusste ich, dass er dort sein würde. Und da stand er, die Machete in der Hand, und suchte seine geliebten Kakaobäume nach Zeichen von Fruchtfäule ab.
    »Theo!«, rief ich.
    »Nur weil die Saison so gut wie vorbei ist, darf man nicht aufhören, die Bäume zu überprüfen, Anya. Leuchte mit der Taschenlampe mal hierhin, ja?«
    Ich richtete den Strahl auf ihn.
    »Sieh mal da: Monilia. Ist das denn zu glauben?« Theo hackte auf die kleine Frucht ein. Es war kein schöner Schnitt. Wenn er von mir gewesen wäre, hätte Theo ihn mit Sicherheit begradigt.
    »Warte«, sagte ich und nahm ihm seine Machete ab. »Lass mich mal!« Ich holte aus und schlug zu.
    »Nicht schlecht«, gestand Theo.
    »Theo«, begann ich, doch er unterbrach mich.
    »Hör zu, Anya, die liegen alle falsch. Ich bin nicht in dich verliebt.« Er hielt inne. »Ich hasse sie alle.«
    Ich wollte wissen, von wem er spreche.
    »Von meiner Familie«, erwiderte er. »Alle miteinander.«
    Ich fragte mich, wieso er seine Verwandten hasste. Sie waren so freundlich und nett zu mir.
    »Es ist reine Folter, in einem Haus voller Frauen zu leben! Alte dumme Tratschtanten sind das, mehr nicht. Aber ich kann ihnen nicht entkommen. Seit ich auf der Welt bin, erwarten sie von mir, dass ich den ganzen Laden schmeiße. Deshalb habe ich auch diesen Namen bekommen, Anya. Sie erwarten von mir, dass ich alles tue, aber sie fragen nie nach. Niemand fragt je nach. Nein, ich bin nicht in dich

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