Edelherb: Roman (German Edition)
bis wir über zuverlässigere Informationen verfügen, aber ich habe das Gefühl, es geht nicht anders. Ich glaube, dass Dein Cousin Fats Anstalten macht, Yuri und Mickey das Geschäft wegzunehmen. Wenn ihm das gelingt, wird es bei Balanchine Chocolate drunter und drüber gehen. Momentan versuche ich, Deine Rückkehr vorzubereiten. Im Januar habe ich mehrere Termine bei Bertha Sinclair, um zu sehen, was getan werden kann. Wenn es so weit ist, werde ich Dich benachrichtigen.
Denk dran, Anya: Du bist noch immer die Tochter von Leonyd Balanchine . Du hast mehr Rechte als Yuri, Mickey und Fats. Je eher Du heimkommen kannst, desto besser. Selbst eine Anya Balanchine in Liberty ist besser als eine Anya Balanchine, die niemand sehen oder sprechen kann. Entschuldige, wenn ich mich zu weit vorgewagt habe.
Dein ergebener Diener
Simon Green
*
Annie,
dies ist kein Liebesbrief.
Ich glaube, Du würdest mich auslachen, wenn ich Dir einen Liebesbrief schriebe, deshalb werde ich es nicht tun. Wenn es versehentlich doch einer werden sollte, hast Du meine Erlaubnis, ihn in den Kamin zu werfen.
Also, hier ist er:
Ich habe eine Apfelsine gegessen und musste an Dich denken.
Ich habe im Labor eine Gewebeprobe untersucht und musste an Dich denken.
Ich bin mit dem Zug zum Grab meiner Schwester nach Albany gefahren und musste an Dich denken.
Die Band spielte auf dem Herbstball, und ich musste an Dich denken.
Auf der Straße sah ich ein Mädchen mit dunklen Locken und musste an Dich denken.
Ich fuhr mit Deiner kleinen Schwester nach Coney Island – sie ist die Einzige, die so traurig ist wie ich. Natty ist die Klügste der Welt und wirklich angenehme Gesellschaft. Dennoch dachte ich an Dich.
Du hast oft gesagt, Du glaubst, ich würde Dich nur mögen, weil mein Vater ist, was er ist – dass ich Dich mögen würde, weil mein Vater dagegen ist. Nun, vielleicht interessiert es Dich zu hören, dass er die Wahl verloren hat. Er ist raus aus der Politik, und ich mag Dich immer noch.
Da haben wir’s.
Dies ist kein Liebesbrief.
Win
*
Ich las meine Briefe, dann las ich sie ein zweites Mal. Ich drückte sie mir an die Wange, damit ich spüren konnte, wo die Hände meiner Freunde gewesen waren. Ich versuchte sogar, sie zu riechen, aber sie rochen nach gar nichts außer nach Tinte und frischem Papier. (Für alle, die es noch nie gerochen haben: Tinte hat einen sonderbar metallischen Geruch, fast wie Blut.)
Nachdem ich so viele Monate nichts gehört hatte, waren die Neuigkeiten überwältigend. Als ich New York verließ, hatte ich Anya Balanchine hinter mir gelassen, und in Mexiko war ich ein neues Mädchen geworden. Ich mochte die neue Anya, aber die Briefe erinnerten mich daran, dass ich nicht für alle Zeit hierbleiben konnte.
Es klopfte an meiner Tür. »Darf ich hereinkommen?«, fragte Theo.
Ich stopfte das Bündel mit Briefen unter mein Kopfkissen.
»Ja«, sagte ich. Er trat ein und zog die Tür hinter sich zu. »Ich dachte, auf Granja Mañana wären keine Jungen in den Mädchenzimmern erlaubt«, sagte ich.
»Dies ist ein Sonderfall. Ich dachte, du willst vielleicht mit jemandem reden«, sagte Theo.
Er kannte mein Geheimnis bereits, daher beschloss ich, ihm mein Herz auszuschütten. Es war das erste Mal seit Nana, dass ich einen wahren Vertrauten hatte.
Er unterbrach mich nicht und dachte nach, ehe er antwortete. »Ich rate dir Folgendes: Erstens heiratest du diesen Yuji Ono nicht. Er liebt dich nicht, Anya, und es liegt auf der Hand, dass er nichts anderes will als seinen Einfluss vergrößern. Zweitens: Geh nicht zurück nach New York« – er machte eine Pause –, »nie mehr.«
»Aber Simon Green hat gesagt, es würde alles den Bach runtergehen. Und Yuji hat das auch gesagt, egal was er im Schilde führt.«
Theo zuckte mit den Schultern. »Was macht es schon für einen Unterschied, wenn die Schokoladenfirma den Bach runtergeht? Ob dort diese oder eine andere Verbrecherbande sitzt? Was kümmert dich das? Warum würde es dir was ausmachen, wenn mit Balanchine Chocolate Schluss wäre? Diese Firma hat dir nur Leid zugefügt.«
Ich dachte darüber nach. »Ich … ich glaube, dass es mir etwas ausmacht, weil mein Vater diese Firma aufgebaut hat. Und wenn Balanchine Chocolate zugrunde ginge, wäre es so, als würde mein Vater noch einmal sterben.«
Theo nickte langsam. »Du liebst Balanchine Chocolate so, wie ich den Kakao liebe.«
»
Liebe
würde ich das nicht nennen, Theo.«
»Nein, du hast recht.
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