Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
Vom Netzwerk:
mich, Anya. Ich wohne dann bei dir. Ich erwarte nicht weniger als den roten Teppich.«
    Ich sagte, ich würde ihn gerne jederzeit aufnehmen, wann immer er kommen wolle.
    »Anya, verrat mir bitte noch eine ernste Sache.«  
    Ich wusste schon jetzt, dass es keine ernste Frage sein würde. »Ja, Theo?«
    »Du kannst diesen Win doch nicht tatsächlich besser finden als mich. Du und ich, wir haben so viel gemeinsam, und falls du das noch nicht bemerkt haben solltest – ich bin wirklich hinreißend.«
    Ich ignorierte ihn und machte weiter mit meiner Arbeit.
    »Anya, dieser Win … ist er sehr groß?«
     
    Am nächsten Tag fuhren Theo und ich zu den Fabriken in die Stadt, wo die Produkte hergestellt wurden, von denen er gesprochen hatte, aber noch vieles andere mehr: Handcremes, Pülverchen und sogar eine Fertigmischung, mit der man Abuelas heiße Schokolade nachkochen konnte.
    Als wir nach Granja Mañana zurückkehrten, war die Sonne bereits untergegangen, die Arbeiter hatten die Plantage verlassen. Ich begleitete Theo auf einem kurzen Rundgang über die Felder und war ein kleines Stück vor ihm, als ich Laub rascheln hörte. Es mochte nur ein kleines Tier sein, dennoch griff ich nach meiner Machete. In dem Moment fiel mir eine Kakaofrucht ins Auge, die die verräterischen Zeichen von Fäule aufwies. Ich bückte mich, um sie abzuschlagen.
    Da rief Theo: » ANYA , DREH DICH UM !«
    Ich glaubte, er mache einen Scherz, deshalb achtete ich nicht auf ihn.
    » ANYA !«
    Immer noch in der Hocke, sah ich mich über die Schulter um. Hinter mir stand ein großer Mann. Als Erstes fiel mir auf, dass er eine Maske trug, dann bemerkte ich seine Waffe. Sie war auf meinen Kopf gerichtet, und ich war überzeugt, nun sterben zu müssen.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Theo mit gezogener Machete auf mich zugerannt kam.
    » NEIN !«, schrie ich. » THEO , GEH INS HAUS !« Ich wollte nicht, dass auch er sein Leben ließ.
    Mein Geschrei musste den maskierten Mann irritiert haben, denn er zögerte kurz. Er drehte sich um, und Theo traf ihn mit der Klinge der Machete an der Schulter. Die Waffe entlud sich. Sie hatte einen Schalldämpfer, verursachte daher kein lautes Geräusch. Ich sah nur den Funken in der Mündung und wusste, dass Theo getroffen worden war, hatte aber keine Zeit zu sehen, an welcher Stelle. Ich hob meine eigene Machete auf und holte aus. Ohne nachzudenken, schlug ich dem Maskierten die Hand ab. Es war die rechte, die Hand mit der Schusswaffe. Es ging nicht leicht, aber meine Machete war gerade geschärft worden, und ich hatte viel Übung durch das Abschlagen der infizierten Kakaofrüchte. (Zurückschauend kam es mir vor, als hätte ich seit November nur für diesen Moment trainiert.) Der große Unterschied zwischen dem Abschlagen einer Menschenhand und einer Kakaofrucht war das Blut. Es war so viel Blut. Es sprühte mir ins Gesicht und auf meine Kleidung, und einen Moment lang sah ich nur noch verschwommene rote Punkte. Ich wischte mir über die Augen. Der Mann hatte seine Waffe fallen lassen, samt der Hand, er umklammerte nun den Stumpf und lief tiefer in den Regenwald hinein, verschwand in der Dunkelheit. Wir waren meilenweit vom nächsten Krankenhaus entfernt. Höchstwahrscheinlich würde er verbluten.
»Ohcchoaaadd«,
heulte er, oder so etwas Ähnliches. Ich konnte es nicht richtig verstehen.
    Ich drehte mich zu Theo auf dem Boden um.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte ich. Es wurde dunkel, ich konnte nicht sehen, wo er blutete.
    »Ich bin …«
    »Wo hat er dich getroffen?«, fragte ich.
    »Weiß nicht.« Er bewegte die Hand schwach in Richtung seiner Brust, und mein Herz setzte fast aus.
    »Theo, ich muss ins Haus und Hilfe holen.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Theo!«
    »Hör zu, Anya! Sag meiner Mutter nicht, was passiert ist.«
    »Du bist ja verrückt! Ich muss deiner Mutter sagen, was passiert ist. Ich muss Hilfe für dich holen.«
    Erneut schüttelte er den Kopf. »Ich werde sterben.«
    »Sei nicht so theatralisch.«
    »Mama wird dir die Schuld geben. Es ist nicht deine Schuld, aber sie wird es dennoch tun. Verrat keinem, wer du wirklich bist.«
    Gerade weil Theo das sagte, war ich überzeugt, schuld zu sein.
    »Ich gehe jetzt!« Ich entzog ihm meine Hand und stürzte ins Haus.
    Die nächsten Stunden habe ich nur verschwommen in Erinnerung. Luz, Luna und ich hievten Theo auf eine aus Bettlaken gebaute Trage, dann schleppten wir ihn zum Pick-up und fuhren in die Klinik, die eine halbe Stunde entfernt war.

Weitere Kostenlose Bücher