Edelherb: Roman (German Edition)
Leute wirkten durchaus kooperationsbereit, mit dir eine Vereinbarung zu treffen. Ein kurzer Aufenthalt in Liberty, dann vielleicht Entlassung auf Bewährung. Die Leute haben mehr Verständnis für dich, als du dir vorstellen kannst.« Mr. Kipling berichtete, er plane, sich am Mittwoch mit Bertha Sinclair zu treffen, würde aber versuchen, den Termin vorzuverlegen.
Ich fragte, ob sie irgendwelche Anhaltspunkte hätten, wer die Attentate koordiniert haben könne.
»Wir haben darüber gesprochen. Die Sache ist unglaublich komplex«, begann Simon Green. »Drei Städte. Drei Auftragskiller. Es kann nur jemand gewesen sein, der die Möglichkeit hat, eine mehrgliedrige Operation durchzuführen.«
»Dennoch ging der Auftrag zu sechsundsechzig Prozent daneben«, bemerkte Mr. Kipling.
»Und wenn das beabsichtigt war?«, überlegte Simon Green. »Du sagt, du glaubst nicht, dass es Yuji Ono war; doch wenn ich die anderen auf der Hand liegenden Optionen durchgehe, habe ich den Eindruck, dass es auch niemand anders gewesen sein kann. Jacks ist im Knast. Mickey hat nicht die Fähigkeiten. Wenn es nicht Yuji Ono ist, fällt mir niemand anders mehr ein als Fats. Er kommt von der anderen Seite der Familie, aber manche haben das Gefühl, er würde sich darauf vorbereiten, Mickey zu stürzen. Es wäre zu seinem Vorteil, wenn alle direkten Nachkommen von Leonyd Balanchine aus dem Weg geräumt wären.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Fats mich umbringen wollte. »Aber was ist, wenn es doch Mickey war? Er wusste, wo ich mich aufhielt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er auch Leos Aufenthaltsort kannte. Was ist, wenn Mickey die Schüsse auf seinen Vater rächen wollte, nachdem ich bei Yuji Ono in Ungnade gefallen war? Yuri Balanchine ist schon sehr lange krank, und es ist kein schönes Sterben.«
»Du bist bei Yuji Ono in Ungnade gefallen?«, fragte Mr. Kipling.
»Weil er ihr einen Heiratsantrag gemacht hat und Anya ablehnte«, erklärte Simon Green.
»Heiratsantrag?«, wiederholte Mr. Kipling. »Was soll das? Anya ist zu jung, um zu heiraten.«
»Ich habe dir das doch gar nicht erzählt«, sagte ich zu Simon.
Er dachte kurz nach. »Als ich Yuji Ono die Briefe gab, informierte er mich von seinen Plänen. Ich wusste natürlich nicht genau, ob du ablehnen würdest. Ich habe es einfach angenommen.«
»Simon«, sagte Mr. Kipling mit strenger Stimme. »Wenn du wusstest, dass er ihr einen Antrag machen wollte, hättest du mir Bescheid sagen müssen. Vielleicht hätten wir dafür sorgen können, dass Leo Kyoto verlässt!«
»Ich entschuldige mich, falls ich einen Fehler gemacht habe.«
»Mr. Green, das war deutlich mehr als ein Fehler.«
Mr. Kipling hatte natürlich recht, dennoch verteidigte ich Simon Green. Seit meiner Rückkehr war er so nett zu mir gewesen, und ich wusste, dass ich nicht der pflegeleichteste Gast war. (Auch wenn ich nicht vorhabe, meinen Zustand hier ermüdend auszuführen, war ich doch niedergeschlagen gewesen und hatte seit meiner Rückkehr nicht mehr geschlafen.) »Mr. Kipling, seit dem 26 . Dezember wusste auch ich von diesem Antrag. Ich hätte Sie anrufen können, aber ich kam nicht auf die Idee, dass es nötig sein könnte, Leo zu verlegen. Ich dachte ganz ehrlich nicht, dass die Sache mit Yuji Ono ernst genug dafür wäre. Es ist viel eher mein Fehler als der von Mr. Green.«
»Ich weiß zu schätzen, dass du das sagst«, erwiderte Mr. Kipling. »Aber Mr. Green und ich haben die Aufgabe, dich zu beraten. Es ist unsere Aufgabe, die schlimmstmögliche Reaktion vorherzusehen. Wir haben diese unsere Pflicht wieder einmal verletzt. Simon und ich werden später noch darüber reden.« Abschließend versprach Mr. Kipling, mich anzurufen, sobald sie mit dem Büro von Bertha Sinclair gesprochen hätten.
Ich legte auf und sah auf die Uhr. Es war neun Uhr morgens. Ein langer Tag lag vor mir, furchtbar und endlos. Es fehlte mir, mich um die Kakaoplantagen kümmern zu können, zur Schule oder zu Freunden gehen zu können. Ich war Simon Greens Apartment leid, in dem es allmählich immer stärker nach Katzenstreu roch. Ich war es leid, nicht zu einem Spaziergang nach draußen zu dürfen.
Ich schaute aus dem Fenster. Unten war ein Park, aber niemand hielt sich dort auf. Ich wusste nicht einmal, wo genau ich mich überhaupt befand. (Brooklyn, klar, aber Brooklyn ist groß.) Wo wohnte Simon Green überhaupt? Seit fast einer Woche hielt ich mich nun in dieser Dachwohnung auf, aber war noch nicht
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