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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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Versuch war zart, dann küsste ich ihn erneut. Das war heftiger, so dass ich mir mit den Zähnen in die Lippe biss und spürte, dass es blutete. Mit der Zunge leckte ich das Blut ab und lachte. Win kam wieder näher. »Stopp, Win!«, sagte ich. »Ich blute.«
    »Ich dachte nicht, dass es so schnell zu Blutvergießen kommen würde«, bemerkte er.
    Ich gab zu, dass ich das auch lieber hätte vermeiden wollen.
    »Vielleicht sollten wir es langsam angehen lassen«, sagte er und zog mich wieder an sich. »Damit sich auch niemand verletzt.«
    »So machen wir es«, sagte ich. Dann nahm ich ihm die Mütze vom Kopf. Die ganze Zeit hatte er diese alberne Mütze aufgehabt. Ich spielte mit seinem Haar, es war seidig, sauber und gesund.
    Das Herz ist so eigenwillig. Wie leicht und wie schwer es sich gleichzeitig anfühlen kann.
    Wie leicht.
     
    Was die übrigen neunundzwanzig Tage Hausarrest anging: Ich konnte nicht nach draußen, weshalb ich auch nicht anfangen konnte, mich um die Probleme in meinem Leben zu kümmern. Win kam jeden Tag vorbei, Scarlet besuchte mich auch oft, der Monat verging ziemlich schnell.
    Wir spielten Scrabble, Natty und ich weinten manchmal, und ich ignorierte eigentlich jeden, der mit mir Kontakt aufzunehmen versuchte. Ich wusste noch nicht, was ich den Leuten sagen wollte.
    Nach ungefähr drei Wochen gab es einen Schneesturm, einen heftigen, der die ganze Stadt lahmlegte. Irgendwie schaffte es Win, zu uns zu kommen. Er blieb drei Tage.
    Ich hatte nachts Probleme zu schlafen, ich musste an Leo und Theo und Imogen denken und manchmal sogar an den Mann, den ich damals auf der Plantage wahrscheinlich getötet hatte. Ich war dankbar für Wins Gesellschaft.
    »Sprich es dir von der Seele«, forderte er mich auf. »Beichte.«
    »Ich kann nicht.«
    »Es bringt dich um, wenn du es in dir vergräbst, und ich will das alles wissen.«
    Ich schaute ihn an. Ich konnte zu keinem Priester gehen und hatte genug von meinen Geheimnissen. Und so erzählte ich ihm alles. Ich erzählte ihm vom Kakaoanbau. Ich erzählte ihm vom Heiratsantrag. Ich erzählte ihm sogar, dass ich jemandem mit der Machete die Hand abgeschlagen hatte. Wie es sich angefühlt hatte, den Knochen eines Menschen zu durchtrennen. Wie die Hand ausgesehen hatte, als sie dort im Gras lag. Wie das Blut des Mannes gerochen hatte. Inzwischen wusste ich, dass Blut von Mensch zu Mensch immer etwas unterschiedlich war.
    »Glaubst du, dass Yuji Ono hinter den Anschlägen steckt?«, fragte Win.
    »Er bestreitet es. Und ich denke, ich glaube ihm.«
    »War es dann Mickey? Oder Fats? Oder ein ganz anderer?«
    »Ich glaube, es war Mickey«, sagte ich nach einer Weile. »Seit ich zurück in New York bin, habe ich noch nicht von ihm gehört. Ich kann mir vorstellen, dass Mickey, nachdem ich die Gunst von Yuji Ono verlor, vielleicht dachte, er könnte die Schüsse auf seinen Vater rächen, indem er Leo umbringt.«
    »Meinst du denn, die anderen beiden Attentate waren als Einschüchterung für euch gedacht, ihr solltet gar nicht getötet werden?
    »Genau«, sagte ich.
    »Seitdem ist nichts mehr passiert«, bemerkte Win. »Vielleicht ist es ja vorbei.«
    Aber es war nicht vorbei. Wenn Leo tot war, musste jemand dafür büßen. Ich runzelte die Stirn, und Win fuhr mit den Fingern über die Falten.
    »Ich kann deine Gedanken lesen, Annie. Wenn du es auf denjenigen absiehst, der deiner Meinung nach Leo auf dem Gewissen hat, dann holt er sich anschließend dich oder Natty. Es wird niemals aufhören.«
    »Win, wenn ich denjenigen nicht zur Strecke bringe, glauben alle, ich sei schwach. Warum sollte er nicht noch mal zurückkommen und seinen Auftrag bei mir und Natty zu Ende führen? Ich würde für alle Zeit mit angehaltenem Atem leben. Ich möchte nicht wie ein Mensch wirken, mit dem man alles machen kann.«
    »Was wäre, wenn du ihnen sagen würdest, du hättest kein Interesse mehr am Schokoladengeschäft? Wenn du sagen würdest, du wolltest wieder zur Schule gehen, danach zum College und Tatortermittler werden, allen anderen wünschst du viel Glück?«
    »Das würde ich ja gerne …«
    »Warum denn nicht? Warum geht das nicht? Das verstehe ich nicht.«
    »Weil … ich bin vorbestraft, Win. Ich habe gesessen. Ich habe massenweise Unterricht verpasst. Und keine Highschool, von Colleges ganz zu schweigen, wird mich nehmen. Ich sitze in der Falle.«
    »Irgendwo gibt es eins. Wir werden eins finden. Ich kann dir helfen, Annie.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Na gut, was wäre

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