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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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mehr als einen Cousin im Gefängnis hatte.
    Draußen war der Schnee geschmolzen, es war ein angenehm warmer Tag für Ende Februar in New York.
    »So, was nun?«, fragte Mr. Kipling.
    Am Vorabend hatte ich wach im Bett gelegen und über die Dinge gegrübelt, die ich erledigen musste, sobald ich wieder frei war. Die Liste war so lang, dass ich aufstehen musste, um sie in meinen Tablet einzugeben:
     
    1 ) Ein Internat für Natty finden
    2 ) Eine Schule für mich finden
    3 ) Herausbekommen, wer meinen Bruder und Imogen getötet hatte
    4 ) Den Tod meines Bruders rächen
    5 ) Herausfinden, wie ich die Asche meines Bruders aus Japan nach Hause bekäme
    6 ) Herausfinden was ich nach der Highschool mit meinem Leben anstellen will (das heißt, sollte ich jemals einen Abschluss machen)
    7 ) In Granja Mañana anrufen und nachfragen, wie es Theo geht (natürlich nicht von einem Telefon, das man zurückverfolgen konnte)
    8 ) Mir die Haare schneiden lassen
    19 ) Imogens Habseligkeiten durchgehen
    10 ) Ein Geburtstagsgeschenk für Win besorgen (Wochenmarkt am Samstag?)
     
    Doch nichts davon wollte ich in dem Moment tun. »Mr. Kipling«, sagte ich. »Wäre es in Ordnung für Sie, wenn wir einfach ein bisschen herumlaufen würden?«
    Wir nahmen den langen Weg in westlicher Richtung zur Fifth Avenue, die uns am Little Egypt vorbeiführte. Der Nachtclub sah so verfallen aus wie immer. »Als ich ein Kind war«, sagte Mr. Kipling, »war das hier für mich der tollste Ort der Welt. Ich liebte die Mumien.«
    »Und was geschah dann?«, fragte ich.
    »Die große Pleitewelle. Man dachte wohl, es würde sich nicht lohnen, die Mumien zu retten.« Er hielt inne. »Und jetzt ist da dieser bescheuerte Nachtclub drin.«
    Den kannte ich nur zu gut.
    Mir fiel schnell auf, dass vor dem Little Egypt mehr Schwarzmarktwaren offen verhökert wurden als zu der Zeit, als Charles Delacroix amtierender Staatsanwalt war. Ich ging an einem Schokoladendealer vorbei. Man hätte nicht gewusst, dass er Schokolade verkaufte, da die Ware nirgends zu sehen war. Auf seinem mit einem dunkelblauen Samttuch gedeckten Tisch standen um die hundert Matrioschka-Puppen. Aber jeder wusste, was Matrioschka-Puppen bedeuteten. Ich stellte mich an den Tisch. Mr. Kipling fragte mich, ob ich das wirklich tun wolle. »Was ist, wenn du beschattet wirst?«
    Wir hatten Bertha Sinclair geschmiert, von daher nahm ich an, auf der sicheren Seite zu sein.
    »Haben sie Balanchine Extra Herb?«, fragte ich den Verkäufer.
    Er nickte. Dann griff er unter den Tisch und holte einen Riegel hervor. Ich erkannte am Einwickelpapier, dass es kein Original war. Die Farbe war schwächer, das Papier besaß eine unangenehm raue, matte Oberfläche. Wahrscheinlich war es irgendeine billige Schokolade mit nur minimalem Kakaoanteil in einer alten Balanchine-Verpackung. Ich wollte den Riegel dennoch kaufen. Lächerlicherweise verlangte der Verkäufer zehn Dollar für diese Imitation.
    »Soll das ein Witz sein?«, fragte ich. Normalerweise bekam man einen Riegel Balanchine Extra Herb für maximal drei oder vier Dollar.
    »Die Ware ist knapp«, erwiderte der Verkäufer.
    »Wir beide wissen doch genau, dass das nicht mal Balanchine ist«, sagte ich.
    »Wer sind Sie eigentlich? Irgendeine Expertin? Kaufen Sie den oder lassen Sie’s sein.«
    Ich legte das Geld auf den Tisch. Trotz des Preises war ich neugierig zu sehen, was da im Namen meines Vaters verkauft wurde.
    Mr. Kipling hielt gewissen Abstand zu mir, während ich das Geschäft tätigte. Ich nehme an, er wollte nicht seine Zulassung verlieren.
    Ich ließ die Schokolade in meine Tasche gleiten, dann brachte Mr. Kipling mich zurück in unsere Wohnung.
    »So, da du nun wieder draußen in Freiheit bist, möchtest du über die Schule sprechen?«, fragte er.
    Wollte ich nicht. »Ich finde, Privatunterricht ist doch eine ganz gute Idee. Ich lerne zu Hause und versuche, bis zum Sommer meine Hochschulreife zu machen.«
    »Und danach? College?«
    Ich sah ihn an. »Ich glaube, wir wissen beide, dass ich das College von nun an vergessen kann.«
    »Das stimmt doch nicht!« Eine Weile diskutierte Mr. Kipling mit mir, doch ich ließ mich nicht umstimmen. »Anya, dein Vater wollte, dass du zum College gehst.«
    Wenn er noch leben würde, wäre das ja auch vielleicht eine Möglichkeit gewesen. »Natty wird ja hingehen«, erwiderte ich.
    »Und du? Was willst du stattdessen tun?«
    Kurzfristig musste ich herausfinden, wer Leo umgebracht hatte. Aber

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