Edelherb: Roman (German Edition)
denn, wenn wir einfach irgendwo hinzögen, wo uns niemand kennt? Wir würden Natty mitnehmen und abhauen. Wir könnten uns andere Namen geben, uns die Haare färben.«
Wieder schüttelte ich den Kopf. Wegzulaufen hatte ich schon probiert, und es war nicht das Leben, das ich für Win, Natty und mich wollte.
»Es ist mehr als das, Win. Als ich in Mexiko war, hat sich etwas in mir geändert. Mir wurde klar, dass ich vor der Schokolade nicht davonlaufen kann. Dass es sinnlos ist, vor ihr zu fliehen oder sie überhaupt zu hassen.«
»Mein Vater sagt immer, Schokolade hätte überhaupt nicht verboten werden sollen.«
»Echt? Das sagt Charles Delacroix?«
»Ständig. Meistens kurz bevor er hinzufügt, es wäre ungemein praktisch für ihn, wenn ich dich niemals wiedersehen würde.«
Ich lachte. »Wie geht es denn meinem alten Freund?«, fragte ich.
»Dad? Ganz furchtbar. Er ist richtig depressiv. Hat sich einen Bart wachsen lassen. Aber was interessiert er uns? Reden wir lieber über mich. Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht glücklicher, dass Dad eine Wahl verloren hat.« Win sah mich an. »Du hast diesem Killer wirklich mit einer Machete die Hand abgehackt?«
»Ja.« Ich fragte mich, ob es ein Fehler gewesen war, ihm das zu erzählen, ob er mich nun weniger liebte, da er wusste, wie gewalttätig ich werden konnte. »Ich bereue es nicht, Win. Und ich bereue es auch nicht, auf meinen Cousin geschossen zu haben, als er auf dich anlegte.«
»Mein Mädchen«, sagte er und nahm mich in die Arme.
Ich bot ihm an, ihm meine Machete zu zeigen, und er sagte, er würde sie gerne sehen, daher führte ich ihn in mein Zimmer. Nachdem Mr. Kipling sie mir zurückgegeben hatte, hatte ich sie zwischen meiner Matratze und dem Lattenrost versteckt.
»Mach die Tür zu!«, befahl ich.
»Das fühlt sich langsam wie eine Falle an«, sagte er.
»So, und jetzt mach das Licht aus.«
Als ich am letzten Tag meines Hausarrests gerade das Apartment verlassen wollte, um den Peilsender entfernen zu lassen, erhielt ich einen Anruf von Mickey Balanchine.
»Annie, wie geht es dir?«, fragte er. »Es tut mir leid. Ich hatte keine Zeit, mich bei dir zu melden, aber ich wollte dir sagen, dass es mir schrecklich leidtut, was mit dir und Natty und ganz besonders mit Leo passiert ist. Der arme Junge. Es ist verrückt, das ist es.«
Ich sagte nichts. Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte.
»Das ist allerdings nicht der Grund meines Anrufs. Yuri ist gestorben.« Er schniefte vernehmlich. »Ich würde dir gerne sagen können, dass er nicht groß gelitten hat, aber ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Das letzte Jahr seit den Schüssen war furchtbar, Annie.
Kurz vor seinem Tod hat Dad noch mal von dir gesprochen. Er sagte, du wärst ein gutes Mädchen. Ich glaube, er mochte dich lieber als mich.« Mickey lachte leise. »Ich glaube, du hast ihn an seinen kleinen Bruder erinnert.«
Damit meinte er meinen Vater.
»Ich weiß … Ich weiß, dass es momentan etwas seltsam ist, aber es würde allen viel bedeuten, wenn du zur Beerdigung kämst.«
Ich erwiderte, ich würde es versuchen, dann legte ich auf. Mickey klang nicht so, als hätte er vor kurzem den Mord an meinem Bruder organisiert. Andererseits klang ich nicht wie ein Mädchen, das jemandem die Hand mit einer Machete abschlagen konnte.
Doch ich war so ein Mädchen, und wenn es nötig wäre, würde ich es wieder tun.
XIII. Ich betreibe das Schokoladenwesen als Freizeitbeschäftigung, erhalte zwei Mitteilungen und ein Paket
Mr. Kipling begleitete mich zum Polizeirevier auf der East 93 rd Street, wo der Peilsender entfernt werden sollte. Der Ort weckte sentimentale Erinnerungen, da man mich dort festgehalten hatte, nachdem ich wegen der Vergiftung von Gable Arsley verhaftet worden war. Was den Sender anging: Die Prozedur der Entfernung sollte nicht schmerzhaft sein, war es aber. Der Beamte sagte, ich sollte anschließend zu einem Arzt gehen und die Stelle untersuchen lassen, falls sie sich entzündete. »Die kleinen fiesen Dinger sollen eigentlich anschließend in den Müll wandern«, entschuldigte er sich, »aber wir benutzen sie oft zweimal. Geldmangel, wissen Sie.«
Als ich gehen wollte, reichte mir ein anderer Polizeibeamter einen Zettel:
Glückwunsch zu Deiner Entlassung! Komm mich bitte in Rikers besuchen. Ich habe Informationen für Dich. In Liebe, Dein Cousin.
Ich nahm an, die Nachricht sei von Jacks, auch wenn ich, um die Wahrheit zu sagen, wohl
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