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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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hat eigentlich gar nichts bei uns verloren, denn sein Vater ist Lehrer, und sie haben ein eigenes
Haus und diese Sachen. Aber er muss sich vor der Zeit von Tom und mir mal in ein Mädchen aus der Gruppe verguckt haben, und obwohl die längst nicht mehr da ist, haben die anderen beschlossen, er darf bleiben. Weil er so gut Gitarre spielt und so viele Lieder kennt, hat Flint mal gesagt. Und das stimmt: Da macht ihm keiner was vor. Wenn Goethe dabei ist, klingt sogar unser Gegröle halbwegs anständig. Er meint, es wär zwar fast unmöglich, Banausen wie uns den richtigen Ton beizubringen, aber er gibt die Hoffnung nicht auf. In den Schlachten gegen die HJ ist er nicht zu gebrauchen, dafür ist er zu klapprig. Deswegen passt er immer auf die Instrumente auf.
    Dann ist da noch Frettchen. Der ist als Einziger ’n paar Monate jünger als Tom und ich. Sein Name kommt daher, weil er so klein ist und so ein spitzes Gesicht hat. Seine Familie ist noch ärmer als die von uns anderen, und das will was heißen. Vor ein paar Wochen war ich mal bei ihm. Er und seine Mutter und seine Geschwister leben in dem letzten Loch. Aber was mir an ihm gefällt, ist: Er lässt sich davon nicht unterkriegen. Er lässt sich von gar nichts unterkriegen. Im Gegenteil: Wenn wir schlechte Laune haben, ist er es meistens, der uns aufheitert. Schon seltsam. Ich frag mich, woher er die Kraft dazu nimmt.
    Von den Mädchen haben wir zuerst Tilly kennengelernt. Als sie uns gerettet hat, da am Neptunbad. Sie ist aus der Philippstraße. Kann mich dran erinnern, dass Tom und ich ’n paarmal mit ihr gespielt haben, als wir klein waren. Aber dann haben wir sie aus den Augen verloren. Sie arbeitet in irgend ’ner Näherei hier in Ehrenfeld, macht Winterklamotten für die Wehrmacht. Ich glaub, ihre Mutter ist nicht grade begeistert davon, dass sie mit uns in der Gegend rumhängt. Aber verbieten tut sie’s ihr nicht. Hätte auch keinen Zweck, wie ich Tilly kenne. Die lässt sich nichts verbieten.
    Ihre beste Freundin ist Flocke. Die kennen sich aus dem Arbeiterschwimmverein, der trifft sich immer im Neptunbad. Sie ist
die Einzige, die mit dem Langen mithalten kann, wenn’s ans Debattieren geht. Ihre Familie waren keine Kommunisten, sondern Sozis. Aber egal, sind auch nicht mehr viele von übrig. Sie wohnt mit ihrer Mutter und zwei kleinen Brüdern zusammen, um die muss sie sich kümmern. Ich mag sie, Tom mag sie noch mehr. Sie ist ganz schön frech und hat ’n Mundwerk, vor dem man sich in Acht nehmen muss. Ich glaub, sie ist die Einzige von uns, vor der sogar Flint Respekt hat.
    Und dann ist da noch Maja. Ich weiß nicht viel über sie. Nur dass sie bei ihren Großeltern lebt und in irgend ’ner Konservenfabrik am Fließband steht. Keine Ahnung, wer ihre Eltern waren oder was aus ihnen geworden ist. Sie spricht nicht drüber. Sagt überhaupt wenig, ist ziemlich schüchtern. Vielleicht, weil sie diese Hasenscharte hat. Aber sie mag Musik, so viel steht fest. Lässt sich gern von Goethe was auf der Gitarre zeigen und spielt’s ihm nach. Sonst ist sie meistens still. So als hätte sie was in sich, über das sie nicht reden kann. So als wär da was, von dem keiner wissen darf.
    Na jedenfalls, das sind sie: unsere neuen Freunde. Inzwischen sind Tom und ich dabei, als wär’s nie anders gewesen, und unsere Namen haben wir auch weg. Bei Tom war’s einfach. Er heißt ja eigentlich Karl. Karl Gescher. Aber seit der ersten Klasse nennen ihn alle Tom, weil er aussieht wie der Junge auf der Kinderbuchausgabe von Tom Sawyer. Die anderen meinten, der Name ist in Ordnung, er kann ihn behalten.
    Und ich? Mich nennen sie Gerle. Nicht grade aufregend, aber was Besseres ist keinem eingefallen. Ich bin eben kein Käptn wie Flint, nicht so stark wie Kralle und nicht so groß wie der Lange. ’n Durchschnittsname für ’n Durchschnittstypen. Aber egal, ich gehör dazu. Und das ist alles, was zählt.

3. August 1941
    Heute ist mir was Seltsames aufgefallen. Wir haben alle keine Väter mehr. Na ja, fast alle. Ich frag mich, ob’s Zufall ist. Oder ob mehr dahintersteckt.
    Bei manchen ist es schon ’ne Zeit her, dass sie ihren Vater verloren haben. Bei Tom zum Beispiel. Ich kann mich kaum dran erinnern, wir waren noch klein. Die Nazis waren grade an die Macht gekommen, marschierten durch Ehrenfeld mit ihren knallenden Stiefeln. In Berlin brannte der Reichstag, und dann verschwanden die Väter von ein paar Jungs aus der Straße. Auch von Tom. Ich war bei ihm, als sein Vater

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