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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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das letzte Mal zurückkam. Er hat von ’nem Lager namens Börgermoor erzählt, und dann hat er plötzlich ’n Lied für uns gesungen. Mit ’ner ganz zittrigen Stimme. Es handelte von Moorsoldaten, die mit dem Spaten ins Moor ziehen, aber eigentlich nur zu ihrer Familie wollen. Als es zu Ende war, hat er Tränen in den Augen gehabt. Am nächsten Tag musste er wieder los. Er ist nie mehr zurückgekommen.
    Ich selbst hab meinen Vater ’n paar Jahre länger gehabt. Bis zum Krieg. Gleich als es losging, haben sie ihn gezogen, er musste nach Polen. Jede Woche kam ’ne Feldpostkarte von ihm. Er schrieb, dass es ihm gut geht und er bald wieder bei uns ist. Immer das Gleiche. Was wirklich los ist, hat er nie geschrieben. Als der Feldzug vorbei war, musste er in Polen bleiben. Auch als es letztes Jahr gegen Frankreich losging.
    Das war die Zeit, als alle Angst hatten. Frankreich! Hoffentlich wird’s nicht wie im letzten Krieg, haben alle gedacht. Aber dann kam eine Triumphmeldung nach der anderen. Nach ’n paar Wochen war alles vorbei, Paris besetzt, Frankreich erledigt. Auf
der Straße jubelten die Leute. Es war der 22. Juni. Der gleiche Tag, an dem meine Mutter und ich erfuhren, dass mein Vater in Polen gefallen ist. Bei Kämpfen gegen Aufständische. Wir saßen da mit seinen Feldpostkarten und konnten draußen den Jubel der Menge hören. Es war, als würd sich die ganze Welt über uns lustig machen.
    Inzwischen weiß ich, dass Tom und ich nicht als Einzige so was erlebt haben. Bei Flocke und dem Langen ist es wie bei Tom, ihre Väter sind früh verschwunden. In irgendwelchen Lagern an »Krankheiten« gestorben. Bei Tilly und Frettchen ist es wie bei mir: im Krieg gefallen. Bei Flint, Kralle und Maja weiß ich’s nicht, jedenfalls sind ihre Väter nicht mehr da. Der Einzige, der seinen Vater noch hat, ist Goethe. Aber der ist eben in vielem anders als wir.
    Die Streifendienstler beschimpfen uns gerne als »vaterlandsloses Gesindel«. Bisher hab ich entweder drüber gelacht oder mich drüber geärgert, je nach Laune. Jetzt wird mir klar, dass sie gar nicht so unrecht haben. Zum Teil wenigstens. »Vaterloses Gesindel«: Das ist es, was wir sind!

19. August 1941
    In letzter Zeit hat der Streifendienst seine Taktik geändert. Anscheinend haben sie uns durchschaut. Poltern erst einmal kreuz und quer durch den Volksgarten, um uns aufzuscheuchen. Dann verschwinden sie wieder – aber das ist nur der Anfang. Sobald wir zurück sind und uns sicher fühlen, hetzen sie uns die Polizei auf den Hals. Ein paarmal haben die sich schon durch die Büsche angeschlichen und uns überrascht. Und das kann ganz schön gefährlich werden, denn sie sind bewaffnet und haben meistens verdammt schlechte Laune.
    Allerdings haben wir uns inzwischen drauf eingestellt und wissen,
was wir tun müssen. Zuerst ist es wichtig, um welche Art von Polizist es sich handelt. Es gibt zwei Sorten: die strammen Nazis und die nicht so strammen Nazis. Wenn’s die zweiten sind, ist alles in Ordnung. Die versuchen’s in der Regel auf die väterliche Tour und reden uns ins Gewissen. Wir geben uns dann immer total zerknirscht. Versprechen, sofort nach Hause zu gehen, nie, nie wieder im Dunkeln irgendwo rumzuhängen und überhaupt nie, nie wieder in unserem ganzen Leben was falsch zu machen. Meistens lassen sie uns laufen, wir gehen dann einfach in den nächsten Park.
    Wenn’s aber die erste Sorte ist, die Strammen, müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Die wollen unbedingt unsere Papiere sehen, und wenn wir sie ihnen nicht zeigen – was wir gar nicht können, weil wir nie welche dabeihaben –, werden sie ungemütlich. Zum Glück haben wir für solche Fälle unsere Geheimwaffen: Frettchen, Flint und Flocke. Die sind unschlagbar, wenn’s um Polizisten geht.
    Gestern Abend war’s wieder so weit. Wir waren im Volksgarten, haben rumgeblödelt und mit den Mädchen gealbert. Der Streifendienst war schon da gewesen und wieder abgezogen, deshalb haben wir gedacht, es passiert nichts mehr. Goethe hatte seine Gitarre dabei, wir haben angefangen zu singen. Eins von unseren Lieblingsliedern: »Wir saßen in Johnnys Spelunke, bei Kartenspiel und Schnaps, Jim Baker, der alte Halunke, und Jo, der gelbe Japs«. Aber als wir grade aus voller Kehle dabei waren, stand auf einmal dieser Polizist vor uns. Er muss sich rangeschlichen haben, wir waren total überrumpelt. Und wir haben sofort gesehen: Das ist ’n verflucht scharfer Hund!
    Er hat gleich angefangen

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