Edelweißpiraten
nichts zu sagen.
Irgendwann sind sie hochkant rausgeflogen. »Schlappschwänze! Scheißkerle!«, hat Hoegen ihnen nachgebrüllt. »Ihr kriegt noch was zu hören, darauf könnt ihr euch verlassen!«
Dann hat er die Tür hinter ihnen zugeknallt, ist zum Tisch gegangen und hat seine Hundepeitsche genommen. Er war stinksauer,
richtig rot im Gesicht. Ich musste die Hosen runterlassen und mich über den Tisch legen. Seine ganze Wut hat er an mir ausgelassen. Es war furchtbar, er hat gar nicht aufgehört. Erst als ich ohnmächtig geworden bin, war die Sache vorbei.
Auf dem Boden bin ich wieder aufgewacht. Mein ganzer Körper war ein einziger Schmerz, ich konnte mich überhaupt nicht bewegen. Hoegen und der Wärter haben mich gepackt, rausgezerrt und die Treppe runtergeschleift. Unten im Gang bin ich ein zweites Mal ohnmächtig geworden. Wie ich in die Zelle gekommen bin, weiß ich nicht.
Es hat ziemlich lang gedauert, bis ich wieder halbwegs auf dem Damm war. Tom hat sich um mich gekümmert. Ich hab ihm erzählt, was passiert ist.
»Keine Ahnung, warum die Typen mich gedeckt haben. Vielleicht haben sie mich wirklich nicht erkannt?«
»Quatsch, die sind doch nicht blind«, hat Tom gesagt. »Nee nee, glaub mir: Die haben Schiss gehabt.«
»Schiss? Wovor denn?«
»Na, dass du von der Gestapo totgeschlagen wirst, nur wegen ihrer Aussage. Ich meine, sie sind zwar in der HJ, aber tief drin haben sie trotzdem ’n Herz. Und außerdem: Bei der Gestapo hört der Spaß auf. Die kann man nicht mal bei der HJ ausstehen.«
Ich hab gedacht, was Schlimmeres als die Prügel, die ich von Hoegen bekommen hatte, könnte es nicht mehr geben. Aber da hatte ich mich getäuscht. Was an den Tagen danach passiert ist, lässt sich gar nicht beschreiben. Hoegen hat uns mit allem geschlagen, was ihm in die Finger fiel. Er hat genau gewusst, wie er uns am besten quälen kann, und er hat ’ne unglaubliche Freude dran gehabt. Dann haben sie angefangen, uns mitten in der Nacht zu holen, wenn wir noch ganz verwirrt waren und kaum wussten, wo wir sind. Alle Tricks haben sie versucht. Haben uns Aussagen der anderen vorgelegt, mit gefälschten Unterschriften,
um uns zu ’nem Geständnis zu bringen. Wenn wir nicht drauf eingegangen sind, haben sie Sachen mit uns angestellt, die man nicht mal in sein Tagebuch schreibt.
Ich weiß nicht, wie wir die Zeit überstanden haben. Ohne die anderen Männer in der Zelle hätten wir’s wahrscheinlich nicht geschafft. Die meisten waren Zwangsarbeiter aus dem Osten, die noch viel schlimmer gequält wurden als wir. Sie haben uns erzählt, was sie tun, wenn sie’s nicht mehr aushalten. Dann denken sie an ihre Heimat. Wie schön es da ist und dass sie irgendwann zurückgehen und ihre Familien wiedersehen. Ganz fest stellen sie sich das vor.
Tom und ich haben das Gleiche versucht. In den schlimmsten Stunden, wenn wir dachten, wir können’s nicht mehr ertragen, haben wir an den Felsensee gedacht. An die Wanderungen dorthin, die Kameradschaft mit den anderen, das Herumtollen im Wasser, das Erzählen und Singen am Feuer, das Schlafen unter freiem Himmel neben der noch warmen Glut. Wir haben uns gegenseitig davon erzählt, und wir haben uns geschworen, dass wir wieder hinkommen. Es war wahrscheinlich das Einzige, das uns aufrecht gehalten hat.
Heute Morgen nach dem Frühstück – es war der siebte Tag – hat der Wärter plötzlich Tom und mich zusammen geholt. Es ging aber nicht in die Folterkammer, sondern in ein Zimmer im ersten Stock. Flint und Kralle, Frettchen und der Lange waren auch da. Wir sind richtig erschrocken, als wir sie gesehen haben, so abgemagert waren sie. Mit eingefallenen Gesichtern, die Augen tief in den Höhlen – fast wie Gespenster. Erst als wir ihre Blicke gesehen haben, ist uns klargeworden, dass es bei uns selbst nicht anders war.
Ein Gestapomann hat auf uns gewartet, den wir nicht kannten. Seine Sekretärin hat ihn mit »Kommissar Kütter« angeredet. Er hat jedem ein Papier vorgelegt, auf dem stand, wir wären gut
behandelt worden und es hätte uns an nichts gefehlt. Das sollten wir unterschreiben, hat er gesagt, dann könnten wir gehen. Wir wollten’s erst nicht. Da hat er gemeint, in dem Fall müssten sie uns leider bis in alle Ewigkeit dabehalten. Wir haben Flint angesehen, der hat genickt. Da haben wir unterschrieben.
»Die von euch, die 18 sind, gehen morgen zur Wehrmacht und direkt an die Front«, hat Kütter gesagt. »Die anderen melden sich bei der HJ und jeden
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