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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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Hoegen hat ihm mit Sicherheit noch ganz anders zugesetzt als Tom und mir, weil er gespürt hat, dass Flint so was wie unser Anführer ist. Ich weiß nicht,
was
sie mit ihm gemacht haben – er redet nicht drüber, und wir fragen nicht –, aber es war bestimmt furchtbar. Als ich ihm zugesehen hab letzte Nacht, ist mir klargeworden, dass da was in ihm kaputtgegangen sein muss – unten im EL-DE-Haus.
    Wir hatten Angst, er könnte den Blockwart totprügeln, und haben versucht, ihn zurückzuhalten. Aber er war so außer sich, dass wir ihn gar nicht bändigen konnten. Erst Kralle hat das geschafft, als er ihn mit beiden Armen umklammert hat.
    »Lass et jut sein, Flint«, hat er gebrummt und ihn weggezogen. »Lass et einfach jut sein.«
    Es hat ’ne Zeit gedauert, bis Flint wieder bei sich war. Wir haben den Blockwart mit ein paar Stricken, die wir mitgebracht hatten, gefesselt und geknebelt. Dann haben wir ihn draußen an einen Laternenpfahl gebunden und ihm ’n Zettel mit der Aufschrift »Nazi-Sau« auf die Stirn geklebt.
    Als wir abgehauen sind, haben wir uns keine Sekunde Gedanken darüber gemacht, ob wir ein Recht haben, so was zu tun. Denn was heißt das schon: Recht? Wahrscheinlich ist das Gesetz sogar auf der Seite von diesem Kerl. Als Blockwart ist er verpflichtet,
verdächtige Leute zu melden. Ja: Er handelt nur nach Vorschrift. Nur nach dem Gesetz. Aber Leute wie wir haben schon von klein auf gelernt, dass Gesetze weder von uns noch für uns gemacht sind. Also: Warum sollen wir uns daran halten?
    Von Maja haben wir bis heute nichts gehört, sie ist wie vom Erdboden verschwunden. Wir sind zu ihren Großeltern hin, aber die wissen auch nichts, sind total verzweifelt. Jeden Tag fragen wir uns, was aus ihr geworden ist und wo die Gestapoleute sie wohl hingebracht haben. Oder: Ist sie etwa von selbst gegangen? Weil sie sich schämt?
    Nach allem, was wir im EL-DE-Haus erlebt haben, würden wir ihr niemals ’n Vorwurf machen – egal, was sie denen erzählt hat. Keiner von uns würd das tun. Wir wünschen uns einfach nur, sie wiederzusehen.

5. September 1944
    Wir haben nicht gemacht, was Kütter uns befohlen hat. Flint, Kralle und der Lange haben ’n Teufel getan, sich bei der Wehrmacht zu melden. Die sind sofort wieder abgetaucht, und zwar noch ’n ganzes Stück tiefer als vorher. Bis zum Grund.
    Wir anderen haben ein paar Tage überlegt, dann ist uns klargeworden, dass wir das Gleiche tun müssen wie sie. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Zur HJ können wir nicht mehr – vor allem jetzt, nachdem sie vor ein paar Wochen unseren Jahrgang aufgerufen haben, freiwillig zur Wehrmacht zu gehen. Denn was »freiwillig« bei den Nazis heißt, weiß man ja. In der HJ werden garantiert alle, die dem Aufruf nicht folgen, fertiggemacht. Von wegen, dass sie Muttersöhnchen und Schlappschwänze sind. Die Musterungsbescheide sind schon raus. Auch bei Tom und mir waren sie im Briefkasten, wir haben sie zerrissen.
    Es gibt kein Zurück mehr für uns. Kütter hat uns klargemacht, was passiert, wenn wir nicht spuren: Dann holen sie uns wieder ins EL-DE-Haus. Und da sie unsere Namen, Adressen und Arbeitsstellen kennen, gibt’s nur eine Möglichkeit, wie wir unseren Arsch retten können. Wir müssen unsere Arbeit schmeißen und dürfen uns zu Hause nicht mehr blicken lassen. Wir müssen untertauchen und uns irgendwie alleine durchschlagen.
    »Willkommen im Klub«, hat Flint uns begrüßt, als wir uns getroffen und drüber geredet haben. »Und macht euch keinen Kopf: Wenn wir die Arschbacken zusammenkneifen, kommen wir schon durch. Hauptsache, wir finden ’n vernünftiges Quartier für alle. Aber da hab ich schon was in Arbeit, wartet’s ab.«
    Es hat ein paar Tage gedauert, dann hat er uns sein »Quartier« vorgestellt: ’n alten verwilderten Schrebergarten mit ’nem Häuschen drauf, vor der Stadt, an der Bahnlinie, die nach Aachen geht. Der Garten gehört den Eltern von ’nem Freund, hat er erzählt. Aber die sind bei ’nem Bombenangriff gestorben, seitdem steht alles leer.
    »Na, ihr werdet’s ja sehen«, hat er gesagt. »Ist ganz schön abgelegen, aber das hat auch seine Vorteile: Es müssen schon verdammt viele Zufälle zusammenkommen, bevor uns in der Gegend einer findet.«
    Wir sind hin und haben uns das Häuschen angesehen. Für alle zusammen ist es reichlich eng, aber – was soll’s? Es ist ’n Dach überm Kopf, und gar nicht mal so ’n schlechtes. Also haben wir unsere Sachen gepackt und sind

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