Edelweißpiraten
im Takt. Bei dem Geräusch sind die Männer blass geworden, alle haben zu Boden gestarrt.
Die Tür zu unserer Zelle ist aufgeflogen, der Wärter stand davor. »Gescher!«, hat er gebrüllt.
Ein paar von den Männern haben aufgeatmet, aber zu Boden gestarrt haben sie noch immer. Tom ist zusammengezuckt und hat den Mann angesehen, der mit uns geredet hatte.
»Geh mit, Junge«, hat er geflüstert. »Sonst machst du alles nur schlimmer.«
Tom ist rausgewankt. Der Wärter hat ihn in Empfang genommen und die Tür wieder zugeknallt.
»Was machen die mit ihm?«, hab ich den Mann gefragt.
»Verhör. Und jetzt halt die Klappe.«
Ich bin zur Zellentür gegangen und hab gehorcht, ob ich was hören kann. Zuerst war da nichts, nur Gemurmel, ab und zu lautere Stimmen. Nach ’ner Zeit gab’s plötzlich dumpfe Schläge, und gleich drauf hat Tom angefangen zu schreien. Er hat geschrien wie ein Tier, hat gar nicht aufgehört damit. Irgendwann konnte ich’s nicht mehr ertragen und hab angefangen, gegen die Tür zu hämmern und zu brüllen. Aber sofort waren die Männer da und haben mich weggezogen.
Der, mit dem ich geredet hatte, hat mir den Mund zugehalten. »Mach dich nicht unglücklich, Junge!«, hat er geflüstert. »Für deinen Freund kannst du nix tun, der muss selbst für sich sorgen. Hier unten ist es überhaupt am besten, nix zu tun – denn egal, was es ist, es reitet dich nur tiefer rein. Also: Bist du jetzt ruhig oder muss ich dir eine scheuern?«
Erst als ich genickt hab, hat er seine Hand weggenommen. Die Schreie von Tom waren noch immer zu hören. Ich hab mich zur Wand gedreht und mir die Ohren zugehalten, so nah ging mir die Sache. Irgendwann war’s dann vorbei. Aber dafür kamen die Schritte wieder und das Knallen des Stocks gegen die Wände und die Zellen. Unsere Tür ist erneut aufgegangen, der Wärter hat Tom zu uns reingestoßen.
»Gerlach!«, hat er gebrüllt.
Ich hab nur noch gesehen, dass sich ein paar von den Männern um Tom, der am Boden lag, gekümmert haben, dann musste ich raus. Meine Knie waren wie Pudding. Es ging die Treppe hoch und um ein paar Ecken, bis wir vor ’ner Tür stehengeblieben sind. Dahinter war der Verhörraum – oder die »Folterkammer«, wie’s die Männer in der Zelle nannten.
Drinnen haben zwei Gestapoleute auf mich gewartet – allerdings nicht die, die ich vom letzten Jahr kannte. Einer hat hinter ’nem Schreibtisch gesessen, auf dem ’ne Menge Papiere lagen. Der andere stand in der Ecke. Er trug keine Uniform, sondern ein verschwitztes, fleckiges Unterhemd und wirkte auf den ersten Blick fast wie ’ne Witzfigur. Aber trotzdem ging was Gefährliches von ihm aus. Was Drohendes. Sein Name war Hoegen, wie mir die Männer unten später erzählt haben – und es war klar, dass sie vor keinem so viel Angst hatten wie vor ihm.
Der am Schreibtisch hat mich ’ne Zeit lang schweigend angestarrt. Dann hat er gefragt: »Warum bist du hier, Gerlach?«
Ich hab nicht gewusst, was ich darauf antworten soll. Deshalb
hab ich nur mit den Schultern gezuckt. Aber im nächsten Moment war Hoegen da und hat mir ’n Schlag in den Rücken versetzt, dass ich nach vorn getaumelt und auf die Knie gefallen bin. Gleich drauf hat er mich wieder hochgezogen.
»Also noch mal«, hat der am Schreibtisch gesagt. »Warum bist du hier?«
»Aber ich weiß es doch nicht!«
Wieder das Gleiche. Diesmal war der Schlag so hart, dass mir die Luft wegblieb. Ich bin auf den Boden geknallt und hab Sternchen gesehen, aber Hoegen hat mir keine Zeit gegeben, zu Atem zu kommen. Sofort hat er mich nach oben gerissen, und das Spiel ging von vorne los. Bestimmt ein halbes Dutzend Mal haben sie’s gemacht, und immer waren die Schläge noch fieser und gemeiner. Schließlich haben sie mich am Boden liegen lassen, und der am Schreibtisch hat gesagt:
»Ist ja auch nicht so wichtig. Eigentlich war die Frage überflüssig. Wir wissen doch, warum du hier bist!«
Darüber haben sie sich halb totgelacht. Dann haben sie mir zugesehen, wie ich mich auf die Füße gequält hab, und die ganze Zeit spöttische Bemerkungen gemacht, was ich für ein Trottel und Schlappschwanz wär, und bei einem wie mir müssten sie ja aufpassen, dass ich ihnen nicht in der Mitte durchbreche!
Als ich wieder stand, hat der am Schreibtisch von einer Sekunde zur anderen aufgehört zu lachen. Dann hat er gesagt:
»Kennst du eine Hilde Majakowski?«
Mit einem Schlag war ich wieder klar. Das war Majas Name! Verzweifelt hab ich überlegt, was
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