Edelweißpiraten
waren. Mit richtigen Kinderstimmen. Wenn ich so was seh, verdrück ich mich und versuch’s zu vergessen.
Wir haben sowieso genug mit uns selbst zu tun. Seit es Winter ist, wird’s immer schwerer, was zu beißen aufzutreiben. In der ganzen Stadt ist kaum noch was zu finden, nicht mal mehr auf dem Schwarzmarkt. Wir haben uns zusammengehockt und überlegt, was wir tun können. Flint hat ’n Vorschlag gehabt. Er würd da zwei Typen kennen, hat er gesagt. Professionelle wären das.
»Professionelle?«, hat Tilly gefragt. »Was soll das sein?«
»Na, Einbrecher. Profis eben. Die wissen, wo’s was abzustauben gibt und wie man rankommt. Und gegen ’n paar Leute, die ihnen dabei zur Hand gehen, hätten sie nichts einzuwenden, haben sie gesagt.«
»Kennst du sie gut?«, hat Tom gefragt.
»Was heißt schon gut? Freunde sind’s nicht grade, so viel will
ich denn doch nicht mit ihnen zu tun haben. Aber ich glaub, sie sind ganz verlässlich – soweit’s bei solchen Typen möglich ist.«
Wir haben ’ne Zeit lang über die Sache geredet. Richtig begeistert von dem Vorschlag war keiner, besonders Tilly und Flocke nicht. Aber man konnte unsere Mägen richtig knurren hören, und irgendwas mussten wir ja tun. Also haben wir beschlossen, uns die Typen wenigstens mal anzusehen.
Am Tag danach haben Flint, Tom und ich sie getroffen. Sie heißen Rupp und Korittke und sind ziemlich düstere Gestalten. Besonders sympathisch waren sie mir nicht, vor allem weil von Anfang an klar war, dass sie Leute wie uns nicht für voll nehmen. Höchstens Flint, den akzeptieren sie, aber in Tom und mir sehen sie nur ein paar Handlanger, und das haben sie uns deutlich spüren lassen.
Trotzdem waren wir uns schnell einig, dass wir’s mit ihnen versuchen wollen. Denn wir konnten merken, dass sie Ahnung von ihrem Geschäft haben. Sie haben genau gewusst, wo’s was zu holen gibt und wie man am besten rankommt. Also denn, haben wir uns gesagt: Es sind zwar verdammte Gauner, aber – ’ne bessere Hilfe zum Überleben finden wir nicht.
Letzte Nacht haben wir unsere erste Aktion mit ihnen gestartet. Es war am Ehrenfelder Güterbahnhof. Flint und Kralle waren dabei, Frettchen und der Lange, Tom und ich. Mit Mädchen wollten sie nichts zu schaffen haben – das hatten Rupp und Korittke von Anfang an gesagt. So was würd nämlich nur schiefgehen. Deshalb sind Tilly und Flocke im Schrebergarten geblieben. Und Goethe gleich mit, der wollte die Gauner gar nicht erst kennenlernen.
Wir haben sofort gemerkt, dass die beiden sich am Bahnhof auskennen. Heut Nacht geht ’ne Ladung mit Fleisch- und Wurstkonserven für die Wehrmacht raus, haben sie gesagt, auf die hätten sie’s abgesehen. Woher sie ihr Wissen haben, ist uns egal. Wahrscheinlich gibt’s einen bei der Reichsbahn, den sie dafür
schmieren, dass er ihnen ab und zu ’ne Information rüberwachsen lässt.
Wir sind zu den Gleisen geschlichen. Der Zug, von dem die beiden geredet haben, war schon da. Er war verschlossen und verriegelt, überall standen Leute von der Bahnpolizei und haben ihn bewacht. An ein Rankommen war nicht zu denken. Wir waren erst enttäuscht und dachten, wir müssten die Sache abblasen, aber Rupp und Korittke haben uns beruhigt. Es gäb garantiert noch Fliegeralarm heut Nacht, haben sie gesagt. Dann wär unsere Zeit gekommen.
Bestimmt ein, zwei Stunden haben wir am Bahndamm gelegen und in der Eiseskälte gewartet. Dann haben die Sirenen endlich losgeheult, wie sie’s inzwischen fast jede Nacht tun. Die Bahnpolizisten sind in ihre Unterstände verschwunden. Kaum waren sie weg, sind wir aufgesprungen und losgerannt. Tief geduckt ging’s über die Schienen zu dem Güterzug, und grade als in der Ferne die ersten Bomben explodiert sind, haben wir ihn erreicht.
Die beiden Gauner haben nicht mal ’ne Minute gebraucht, dann war das Schloss an einer von den großen Schiebetüren geknackt. Wir haben den Wagen aufgemacht und sind rein. Jeder hatte ’n großen Rucksack dabei, und wir haben alles zusammengerafft, was uns in der Dunkelheit unter die Finger kam. Dann sind wir raus und über die Schienen abgehauen. Der Angriff war in vollem Gang, auch auf den Bahnhof hatten sie’s abgesehen, auf allen Seiten sind Granaten und Sprengbomben explodiert. Wir sind gerannt wie die Hasen, alle wollten nur noch so schnell wie möglich weg.
Zum Glück hat keiner was abgekriegt. Wir haben uns in den Keller von ’nem ausgebombten Haus verzogen und die Beute geteilt. Besonders gerecht
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