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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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erwidern, ging nur wortlos aus dem Zimmer und fuhr mit dem Aufzug nach unten. Als ich auf der Straße war, musste ich mich erst einmal setzen. Warum hatte er nichts davon erzählt? Er musste doch wissen, wie es um ihn steht!
    Dann wurde mir klar, dass es einfach nicht seine Art war, viel Aufheben um sich selbst zu machen. Und außerdem,dachte ich: Vielleicht hat er es mir ja gesagt, nur auf seine Weise. Vielleicht hat er es mir die ganze Zeit gesagt – ich habe es nur nie verstanden.

28. November 1944
    Ich kann immer noch nicht fassen, was mit Horst passiert ist. Seit Tom und Flint mich von der Hüttenstraße weggeschleppt und hierhergebracht haben, krieg ich die Bilder nicht aus dem Kopf. Ständig läuft der Film von Neuem ab. Vor allem der Moment, als Horst hochgesehen und mich gesucht hat. Er hat sich drauf verlassen, dass ich komme und ihn raushaue – so wie er’s am Lager für mich getan hat. Aber ich hab ihn nicht rausgehauen. Ich hab versagt.
    Tilly versucht mich zu trösten. Sie sagt, ich müsste aufhören, mir Vorwürfe zu machen. Ich hätte gar nichts tun
können
, es wär reiner Selbstmord gewesen. Es ist gut gemeint von ihr, aber ich weiß, dass es nicht stimmt. Ich hätte wohl was tun können, ich hab mich nur nicht getraut. Und dann haben Tom und Flint mich nicht gelassen.
    Heute hab ich unter den Bäumen gesessen, die hinter der Hütte stehen. Ich hatte keine Lust, drinnen bei den anderen zu sein. Irgendwann ist Flint gekommen und hat sich zu mir gesetzt. Ich hab gemerkt, dass er über was reden will. Aber er hat den Mund nicht aufgekriegt, sondern nur rumgedruckst.
    »Verdammt! Was willst du, Mann?«, hab ich schließlich zu ihm gesagt. »Wenn du was zu melden hast, spuck’s aus und sitz nicht blöd in der Gegend rum.«
    Er hat sich am Kopf gekratzt. »Na ja, ich hab, glaub ich, irgendwann mal über deinen Bruder gesagt, er wär ’n Scheißkerl. Weißt du noch?«
    »Ja. Nachdem er dich verprügelt hat.«
    »Er hat mich eigentlich nicht … Aber – na, egal. Jedenfalls tut’s mir leid. Auf seine Art war er in Ordnung, weißt du. Wenn er nicht auf diese Scheißschule gegangen wär, hätte er einer von uns sein können.«
    Ich hab die Fäuste geballt. »Er
war
einer von uns, Flint«, hab ich gesagt. »Verdammt noch mal, er war einer von uns.«
    Flint hat mich angesehen aus seinen Kohlenaugen. Ich hab zurückgesehen. Diesmal war er es, der den Blick nicht mehr aushalten konnte.
    »Ja«, hat er gesagt und zu Boden gestarrt. »Du hast recht, Gerle. Er war einer von uns.«

15. Dezember 1944
    Seit ein paar Wochen hat uns der Winter voll erwischt. Es ist eiskalt, wir frieren wie die Schneider. Es gibt keine Heizung in unserer Hütte, und wir haben alle Hände voll zu tun, uns irgendwie warm zu halten. Wir haben angefangen, die Bäume zu verfeuern, die hinter dem Häuschen sind. Aber wir müssen vorsichtig sein, dass von der Bahnlinie aus der Rauch nicht zu sehen ist. Sonst haben wir schneller, als uns lieb ist, die Polizei am Hals – oder Schlimmeres.
    In der Stadt herrscht das nackte Chaos. Ehrenfeld besteht nur noch aus Ruinen. Überall muss man sich durch Trümmer kämpfen und aufpassen, dass man nicht in Bombentrichter fällt oder von einstürzenden Mauern erschlagen wird. Zu bombardieren gibt’s eigentlich nichts mehr, aber die Luftangriffe gehen trotzdem weiter. Immer öfter kommen Tiefflieger und machen Jagd auf die Leute, direkt in den Straßen. Frettchen hätten sie einmal fast erwischt. In seiner Not ist er in einen von den Löschteichen
gesprungen, hat er erzählt, das ist seine Rettung gewesen. Als er wieder bei uns war, mussten wir ihn erst mal am Feuer auftauen, so durchgefroren war er.
    Jeder Gang in die Stadt ist jetzt ein Himmelfahrtskommando. Wir tun’s nur noch, wenn wir unbedingt müssen oder uns der Hunger treibt. Überall kann man auf Trupps von der SS oder der Gestapo stoßen. Sie sind auf der Suche nach Illegalen: geflohenen Ostarbeitern, Deserteuren, Plünderern – und Leuten wie uns. Wenn sie irgend ’n armen Teufel erwischen, halten sie sich nicht lange auf, sondern machen kurzen Prozess. Es geht hinter die nächste Mauer, und man hört ’n paar Schüsse. Das war’s.
    Manchmal sieht man Leute durch die Trümmer irren, die gar nicht mehr wissen, wer sie sind oder wo sie hin wollen. Wahrscheinlich welche, die alles verloren haben. Die können’s nicht verpacken, sind total verrückt geworden. Man hört sie kichern oder Geschichten erzählen aus der Zeit, als sie jung

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