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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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zugegangen ist es nicht dabei. Rupp und Korittke haben das Beste für sich genommen, um’s zu verhökern, für uns ist der Rest geblieben. Aber wir haben nichts dazu gesagt. Wir wollten keinen Streit und waren froh, dass wir mit heiler
Haut rausgekommen sind. Also haben wir unsere Sachen genommen und uns verdrückt.
    Im Schrebergarten hat’s erst mal ’n Festmahl gegeben, mitten in der Nacht, die Russen haben wir auch dazugeholt. Es war das erste Mal seit langem, dass wir uns die Bäuche richtig vollschlagen konnten. Für unsere Mütter haben wir auch was abgezweigt, schließlich sollen alle was davon haben. Nur zum Lager gehen wir nicht mehr. Das ist uns zu gefährlich geworden.
    Heute Morgen sind wir ausnahmsweise mal nicht mit knurrendem Magen aufgewacht. Draußen hat’s geschneit, wir haben Holz geholt und gesehen, dass wir das Feuer in Gang bringen. Dann haben wir uns davorgehockt und noch mal über letzte Nacht geredet.
    Tilly und Flocke waren nicht grade glücklich über das, was wir gemacht haben. »Es ist viel zu gefährlich«, hat Flocke gemeint. »Wenn die von der Bahnpolizei euch entdecken, knallen sie euch ab. Und glaubt bloß nicht, dass diese blöden Ganoven euch helfen. Die retten nur ihre eigenen Hälse, wenn’s ernst wird. Denen seid ihr doch scheißegal.«
    »Ja«, hat Tilly gesagt. »Und außerdem: Ich finde, wir nehmen’s von den Falschen. Ihr wisst doch, was an der Front los ist. Die Soldaten sind halb am Verhungern. Die brauchen die Sachen!«
    Aber das hat Flint nicht gelten lassen. »Jeder ist für sich selbst verantwortlich«, hat er gesagt. »Und wer von unseren Jungs da draußen jetzt noch nicht den Schuss gehört hat und abgehauen ist, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen – der hat’s nicht anders verdient als zu verrecken. Tut mir leid, Leute, aber so seh ich’s nun mal.«
    Obwohl es von uns anderen keiner so hart ausdrücken würde, sind wir im Grunde der gleichen Meinung. Wir sind nicht verantwortlich für Leute, die immer noch für die Nazis kämpfen. Wir können keine Rücksicht auf die nehmen. Auf uns hat auch nie einer Rücksicht genommen.

25. Dezember 1944
    Es ist das traurigste Weihnachten, das wir jemals erlebt haben. Gestern haben wir in unserem Häuschen gehockt und versucht, so was wie Stimmung aufkommen zu lassen. Normalerweise sind wir nicht besonders gefühlsduselig, aber als wir da in der Kälte gesessen haben, hat’s uns doch gepackt. Wir wären alle gern nach Hause zu unseren Müttern – außer Flint und Kralle natürlich, die haben ja keine mehr –, aber es war zu gefährlich. Nur Goethe ist abends gegangen und wollte sich zum Haus von seinen Eltern schleichen.
    »Irgendwann in der Nacht bin ich wieder da«, hat er gesagt.
    »Bring uns was von dem Schokoladenkuchen mit«, hat Frettchen ihm hinterhergerufen. »Und von dem Schweinebraten. Und von dem Kartoffelsalat. Und von den Wurstbroten. Und von –«
    »Ich bring euch ’n paar Lieder mit«, hat Goethe gesagt. Dann ist er gegangen.
    Als es dunkel war, gab’s Fliegeralarm, und gleich darauf ging’s los. Die Einschläge waren ziemlich nah. Wir sind raus und haben gesehen, dass das meiste über Ehrenfeld runterkam. Ausgerechnet Heiligabend!, haben wir gedacht. Nicht, dass wir mit Religion viel am Hut hätten. Aber trotzdem: Irgendwie kam’s uns gemein vor, den Leuten in so ’ner Nacht was auf die Köpfe zu schmeißen.
    Goethe ist weggeblieben, deshalb haben wir uns irgendwann schlafen gelegt. Erst als er heute immer noch nicht aufgetaucht ist, haben wir angefangen, uns Sorgen zu machen. Tom und ich sind los, um zu sehen, wo er bleibt. Normalerweise kriegt die Gegend, in der das Haus von seinen Eltern steht, bei den Angriffen nicht viel ab, weil da weder Fabriken noch Arbeiter sind. Aber
letzte Nacht war’s anders – das ist uns gleich klargeworden, als wir hinkamen.
    Schon von Weitem konnten wir sehen, dass in Goethes Straße auch was runtergekommen war. Wir haben’s mit der Angst gekriegt und sind hingerannt. Und dann haben wir gesehen, was los ist: Das Haus von seinen Eltern war komplett zerstört. Das ganze Grundstück war ein Trümmerfeld, kein Stein lag mehr auf dem anderen. Wir haben erst nicht gewusst, was wir tun sollen. Dann sind wir rumgelaufen und haben gerufen, aber niemand hat geantwortet. Es war entsetzlich still.
    Irgendwann sind Leute aus dem Nachbarhaus gekommen. Das hatte auch was abgekriegt, stand aber noch. Sie haben erzählt, was passiert ist. Es war ’n Volltreffer, das Haus

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