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Eden

Titel: Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tony Mochinski
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hatte er noch, aber es waren nicht viele. Er schaute sie sich an, von hinten nach vorne. Ein Gruppenfoto, auf dem seine Eltern, sein Bruder, ihre Frauen und die Kinder seines Bruders zu sehen waren. Er hatte das Bild aufgenommen, deshalb war er nicht darauf. Heute war er hier, und sie waren alle tot.
    Ein Bild von Daffy, an einem heißen Tag im Gras des Gartens. Die Zunge hing ihr aus dem Maul.
    Sein Hochzeitsfoto. Er hatte nie viel um Zeremonien gegeben, ebenso wenig wie Raquel. Die ganze Kirchensache und den Empfang hatten sie für ihre Eltern auf sich genommen. Und weil sie nicht eines Tages, wenn sie alt waren, bedauern wollten, darauf verzichtet zu haben.
    Ein Porträtfoto von Raquel, das erste Bild von ihr, das er je besessen hatte. In seinen Augen war sie immer wunderschön gewesen, und das Schwarz-Weiß-Bild verlieh ihr ein ätherisches Aussehen.
    Ihr Gesicht ließ ihm keine Ruhe. Harris fragte sich, wann das wohl ein Ende haben würde. Er summte ein paar Zeilen aus »Pictures of Matchstick Men« von Status quo.
    »Was sehen Sie sich an?«
    Die hoch aufgeschossene junge Frau, Julie. Sie war herübergekommen und stand am Fuß der Treppe, eine offene Bierdose in der Hand. In der anderen hielt sie das Plastiknetz eines Sechserpacks, in dem noch zwei ungeöffnete Dosen steckten.
    »Geister der Vergangenheit«, sagte er, mehr im Selbstgespräch denn als Antwort auf ihre Frage.
    »Was dagegen, wenn ich mich dazusetze?«
    »Nur zu.« Er blickte sie an, um nicht unhöflich zu wirken. Alle Umgangsformen hatte er noch nicht eingebüßt.
    »Danke.«
    Harris fragte sich, warum sie herübergekommen war. Seit sie in Eden eingetroffen war, hatte er vielleicht ein- oder zweimal mit ihr gesprochen. Dass sie attraktiv war, ließ sich nicht bestreiten. Mehr sogar, sie war schön.
    Harris hatte seit Jahren nicht mehr an eine andere Frau als Raquel gedacht. Nicht ernsthaft. Mit der Heirat hatte er sich aus dem Beziehungsmarkt verabschiedet. Sie hatten einander die Treue gelobt, ohne zu erwarten, dass es leicht werden würde, dieses Versprechen zu halten. Aber am Abend jedes einzelnen Tages, wenn er zu ihr nach Hause kam und sie zu ihm, hatte Harris gewusst, er hatte die richtige Wahl getroffen.
    Es fiel ihm schwer, an Raquel zu denken. Jetzt, nachdem die Welt sie ihm gestohlen hatte.
    »Hat das wehgetan?«
    Harris deutete mit einer Kopfbewegung auf Julies Arm. Sie trug ein T-Shirt mit abgeschnittenen Ärmeln, und ihr rechter Arm war von der Schulter bis zum Ellbogen mit einem komplizierten schwarzen Tribal tätowiert.
    »Oh Mann, und wie«, lachte sie. »Besonders an der Unterseite, in der Achselbeuge.«
    Sie hob den Arm und deutete auf die Stelle, die sie meinte. Ihre Arme waren lang und glatt, makellos.
    »Haben Sie was? Ein Tattoo, mein ich?«
    Harris wurde rot. »Nein.«
    Sie sagte nichts, also sprach er weiter. »In meiner Generation haben das eigentlich alle gemacht, Tätowierungen, Piercings. Ich hatte immer vor, es irgendwann mal machen zu lassen …«
    »Was, ein Piercing?«
    »Nein.« Er lachte leise. »Ein Tattoo. Aber jetzt bin ich froh, dass ich es gelassen habe.«
    »Warum? Mögen Sie keine Tätowierungen?«
    »Doch, aber ich mag nicht mehr, was ich damals geplant hatte. Soll heißen, ich hätte es bereut.«
    »Wieso, was wollten Sie sich denn stechen lassen?«
    »Kennen Sie das Bad-Boy-Logo? Sie wissen, was ich meine, das mit dem Jungen mit Bürstenschnitt, der den Bizeps anspannt?«
    Julie lachte. »Mein Bruder hatte so einen Aufkleber auf seinem Truck.«
    »Na, als ich achtzehn war, hätte ich mir das auf den Leib stechen lassen, wenn meine Eltern mich dann nicht rausgeworfen hätten.«
    »Der Bad Boy.« Sie sinnierte. »Hmmh. War vielleicht doch ganz gut, dass Sie es nicht gemacht haben.«
    »Ja, seh ich auch so.« Harris lächelte.
    Sie saßen einen Moment in angenehmem Schweigen beisammen.
    »Haben Sie was dagegen, wenn ich was frage?«, sagte Harris.
    »Fragen Sie erst mal.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Wie alt sehe ich aus?«
    »Oh, also, ich …«
    »Ich verstehe, Sie haben Angst, wenn Sie mich zu jung oder zu alt schätzen, bin ich beleidigt. Wissen Sie nicht, dass man eine Frau nie nach ihrem Alter fragt, Mister Harris?«
    »Benehmen war nie meine Stärke.«
    »Das glaube ich Ihnen nicht.«
    »Jede Wette, dass ich einiges älter bin als Sie.«
    »Ging es bei Ihrer Frage dann um mich oder um Sie?«
    »Darüber muss ich erst mal nachdenken.«
    Sie sagte ihm ihr Alter und fragte nach seinem.
    »Oh ja«,

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