Eden Inc.
Eden gestaltete sich so: Man saß vor einer Kamera und beantwortete zwei Fragen. Neben den dürftigen Informationen zur Biografie waren die ersten Aufnahmen der Thorpes das einzige Material, mit dem Mauchly ihn versorgt hatte.
Lashs Aufmerksamkeit richtete sich auf das Video. Er hatte es und auch das andere schon mehrmals angeschaut. Hier, im Haus der Thorpes, wollte er es ein letztes Mal in der Hoffnung begutachten, dass die Umgebung die ihm bislang entgangene Verbindung irgendwie sichtbar machte. Er hegte zwar keine großen Hoffnungen, doch seine Optionen schrumpften allmählich zusammen. Außerdem hatte er schon mehr Zeit in den Auftrag investiert als ursprünglich geplant.
»Warum sind Sie hier?«, fragte ein unsichtbarer Sprecher.
Lewis Thorpes Lächeln war offen und entwaffnend. »Ich bin hier, weil meinem Leben etwas fehlt«, erwiderte er einfach.
»Beschreiben Sie etwas, das Sie heute Morgen getan haben«, sagte die Stimme. »Und warum Sie glauben, dass wir davon wissen sollten.«
Lewis dachte nur kurz nach. »Ich habe die Übersetzung eines besonders schwierigen Haikus beendet«, sagte er. Er wartete - als rechne er mit einer Reaktion. Da keine kam, fuhr er fort. »Ich habe das Werk des japanischen Dichters Bashö übersetzt. Die Menschen glauben immer, Haiku-Übersetzungen müssten einfach sein, aber in Wirklichkeit ist es eine sehr, sehr schwierige Arbeit. Sie ist voller Spannung und Einfachheit. Wie fängt man einen solchen Bedeutungsreichtum ein?« Er zuckte die Achseln. »Ich habe schon während der Schule damit angefangen. Ich habe viele Japanischkurse belegt. Bashös Buch Schmale Landstraße ins Landesinnere hat mich wirklich gepackt. Es ist die Geschichte seiner Reise durch den Norden Japans vor vierhundert Jahren. Natürlich handelt es auch von seiner ... Nun ja, es ist ein kurzes Buch und voller Haikus. Eines war etwas Besonderes, und berühmt dazu. Es hat mir allerhand abverlangt, und ich habe es mehrmals beiseite gelegt. Heute Morgen, auf der Taxifahrt hierher, habe ich es endlich beendet. Klingt komisch, nicht?
Schließlich sind es doch nur ... Wie viele waren’s noch mal? Ja, neun Wörter.« Er hielt inne.
Es war nicht einfach, sein ansehnliches Gesicht mit dem in Einklang zu bringen, was die Polizeifotos zeigten: einen klaffenden Mund, große, blind vor sich hin starrende Augen, eine dunkle, herausgestreckte Zunge.
Plötzlich die Abblende. Lash nahm das Band aus dem Recor- der und schob das andere Video in den Schlitz.
Wieder eine Zahlenkolonne. Dann war Lindsay Thorpe auf dem Bildschirm zu sehen: dünn, blond, tief gebräunt. Sie wirkte eine Spur nervöser als Lewis. Sie befeuchtete ihre Lippen und schob sich mit einem Finger ein störrisches Haar von den Augen.
»Warum sind Sie hier?«, fragte die Stimme erneut.
Lindsay zögerte einen Augenblick, dann schaute sie weg.
»Weil ich weiß, dass mir was Besseres zusteht«, erwiderte sie dann.
»Beschreiben Sie etwas, das Sie heute Morgen getan haben.
Und warum Sie glauben, dass wir es wissen sollten.«
Lindsay blickte wieder in die Kamera. Nun lächelte sie auch und enthüllte vollkommene, blitzende Zähne. »Das ist schon einfacher. Ich hab den entscheidenden Schritt gemacht und einen Hin- und Rückflug nach Luzern gebucht. Es handelt sich um eine besondere Reisegruppe; sie fährt eine ganze Woche durch die Alpen. Die Sache ist ziemlich teuer und irgendwie auch recht extravagant, besonders wenn man berücksichtigt, was ich schon ...« Ihr Lächeln wurde etwas schüchterner. »Jedenfalls bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich es mir wert bin. Ich habe gerade eine Beziehung beendet, die einfach nicht hinhaute, und wollte einfach mal weg; vielleicht, um zu einer neuen Perspektive zu finden.«
Sie lachte. »Also habe ich heute Morgen meine VISA-Karte mit dem Ticket belastet. Umtauschen geht nicht. Ich fahre am Ersten des nächsten Monats.«
Das Band endete. Lash nahm es heraus und schaltete den Recorder aus.
Fünf Monate nach diesen Aussagen hatten die Thorpes geheiratet. Kurz darauf waren sie hierher gezogen. Das perfekteste Paar, das die Welt je gesehen hatte.
Lash steckte die Bänder wieder in den Umschlag und begab sich zur Tür. Nachdem er sie geöffnet hatte, blieb er stehen und drehte sich um. Er war noch immer auf eine Antwort aus. Doch da das Haus schwieg, zog er die Tür hinter sich zu und schloss sie sorgfältig ab.
6
Auf dem Rückflug nach New York schob Lash in zehntausend Meter Höhe seine Kreditkarte in
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