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Eden

Eden

Titel: Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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zurückkehren.« Sie verstauten die Kamera, die Spulen und die Stative und traten dann noch einmal an den Rand des Hanges. Erst da bemerkten sie, dass sich das Seeufer im Osten steil auftürmte und im Hintergrund in eine zerklüftete Felsmauer überging, deren Gipfel im letzten rosafarbenen Schimmer der untergegangenen Sonne lagen. Darüber stieg eine braune, pilzförmige Rauchsäule in den Himmel, an dem sich die ersten Sterne zeigten. Sie stand eine Weile, ohne sich zu verändern, dann versank sie hinter der Gebirgsschranke und verschwand aus dem Blickfeld.
    »Aha, dort ist also das Tal!« rief der Chemiker dem Doktor zu. Wieder schauten sie nach unten. Lange Reihen weißer und grüner Lichter krochen in verschiedener Richtung langsam das Seeufer entlang, wendeten, bildeten ungleichmäßig rinnende Bächlein. Stellenweise erloschen sie, andere, größere tauchten auf. Allmählich wurde es immer dunkler, die Anzahl der Lichter nahm zu. Hinter den drei Männern rauschte friedlich das hohe nachtschwarze Dickicht. Die Aussicht war so schön, dass sie sich von ihr nur schwer trennen konnten. Das Bild des Sees mit den sich darin spiegelnden milchigen Sternen würden sie nicht so bald vergessen. Während sie über den schlammigen Boden der Schneise schritten, fragte der Doktor den Chemiker: »Was hast du gesehen?« Der lächelte verwirrt. »Nichts. Ich habe überhaupt nicht an das gedacht, was ich sah, ich habe mich nur die ganze Zeit um die richtige Bildschärfe bemüht, außerdem werkte Henrik so rasch mit dem Objektiv in der Gegend herum, dass ich mich gar nicht orientieren konnte.« »Schadet nichts«, sagte der Ingenieur und lehnte sich an denabgekühlten Panzer des Beschützers. »Wir haben zweihundert Aufnahmen in der Sekunde gemacht. Alles, was dort war, werden wir sehen, wenn der Film entwickelt ist. Jetzt fahren wir zurück!« »Ein idyllischer Ausflug«, murmelte der Doktor. Sie erklommen den Hang. Der Ingenieur drehte die Sehschlitze des Telebildschirms nach hinten und schaltete den Rückwärtsgang ein. Sie fuhren eine Zeitlang rückwärts, weiter oben wendeten sie an einer breiteren Stelle, dann ging es in hohem Tempo geradewegs nach Norden. »Wir nehmen nicht denselben Weg wie auf der Hinfahrt«, sagte der Ingenieur. »Das wären hundert Kilometer mehr. Solange es geht, fahre ich die Schneise entlang. In zwei Stunden sind wir an Ort und Stelle.«

Elftes Kapitel
    Die Strecke führte durch weniger gewelltes Gelände als auf der Hinfahrt. Ab und zu musste sich der Beschützer den Weg durch dichtes Dickicht bahnen. Sie hörten die Äste gegen die dicke, gebogene Scheibe peitschen. Von Zeit zu Zeit fiel eine Traubenschote dem Chemiker oder dem Doktor auf die Knie. Der Doktor hob ein Büschel an die Nase und staunte. »Das riecht ja sehr angenehm.« Sie waren in ausgezeichneter Stimmung. Der flimmernde Himmel wurde klarer und höher. Die Schlange der Galaxis stand über ihnen als klumpiges, glimmendes Gebilde. Windböen kämmten leise raschelnd das Dickicht. Der Beschützer rollte weich und mit kaum hörbarem melodischem Brummen dahin. »Interessant, dass es auf Eden keinerlei Greifarme gibt«, bemerkte der Doktor. »In allen Büchern, die ich bisher gelesen habe, gibt es auf anderen Planeten lauter schlingende, würgende Greifarme.« »Und ihre Bewohner haben sechs Finger«, fügte der Chemiker hinzu. »Fast immer sechs. Kannst du mir zufällig sagen, warum?« »Sechs ist eine mystische Zahl«, erwiderte der Doktor. »Zweimal drei ist sechs, und dreimal darfst du raten.«
    »Hör auf zu schwafeln, ich komme sonst noch von der Richtung ab«, sagte der Ingenieur, der etwas höher saß. Er konnte sich noch immer nicht entschließen, die Lichter einzuschalten, obwohl er fast nichts mehr sah. Die Nacht war ungewöhnlich schön, und er wusste, dass dieser Eindruck schwinden würde, sobald er die Scheinwerfer einschaltete. Mit Radar wollte er auch nicht fahren, denn dann müsste er zuvor den Turm schließen. Er konnte kaum die eigenen Hände am Lenkrad sehen. Nur die Zeiger und Geräte auf den Armaturenbrettern vor ihm, weiter unten und hinten im Fahrzeug schimmerten blaßgrün und rosa, und die Zeiger der Atommeßuhren zitterten schwach wie orangerote Sternchen. »Kannst du Verbindung mit der Rakete aufnehmen?« fragte der Doktor.
    »Nein«, erwiderte der Ingenieur. »Hier gibt es keine E-Schicht, das heißt, es gibt wohl eine, aber sie ist löchrig wie ein Sieb. Von einer Verbindung über Kurzwelle kann keine Rede

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