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Eden

Eden

Titel: Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sein, und für die Einrichtung eines anderen Senders hatten wir keine Zeit. Das weißt du ja.« Bald darauf rasselten die Raupenketten laut, der Wagen schwankte. Der Ingenieur schaltete die Lichter für eine Weile ein und sah, dass sie über weiße, rund geschliffene Felsen rollten. Hoch über den Büschen schimmerten phantastische Formen von Kalknadeln. Sie fuhren durch einen trockenen Hohlweg.
    Dem Ingenieur gefiel das nicht, er hatte keine Ahnung, wohin der Weg führte, und so steile Wände würde nicht einmal der Beschützer nehmen können. Sie fuhren weiter. Immer mehr Steine lagen herum, die Büsche standen in Haufen und hoben sich schwarz im Licht der Scheinwerfer ab. Der Weg wand sich zunächst aufwärts, bis er über eine fast ebene Fläche führte. Die Felsen wurden auf der einen Seite niedriger, schließlich verschwanden sie ganz. Der Beschützer erreichte eine sanft geneigte Wiese. Sie war oben von Kalkstufen begrenzt, kleine Geröllrinnen liefen von ihnen herab. Zwischen den Felsen wanden sich lange krumme Stiele am Boden entlang. Sie glänzten silbergrün im Licht des Scheinwerfers. Seit einer Viertelstunde fuhren sie bereits mit starker Nordostabweichung, es war an der Zeit, wieder den richtigen Kurs einzuschlagen, aber die Kalkfurche, in die der Beschützer geraten war, ließ das nicht zu. »Wir hatten Glück«, sagte der Chemiker unvermittelt. »Wir hätten in den See stürzen oder auf Felsen stoßen können, und ich zweifle, ob wir da herausgekommen wären.« »Stimmt.« Der Ingenieur stutzte. »Moment mal…« Etwas Zottiges versperrte ihnen den Weg. Es glich einem Netz mit langen haarigen Fransen. Der Beschützer rollte langsam an dieses Hindernis heran, stieß mit dem Bug dagegen. Der Ingenieur drückte sanft auf den Beschleuniger. Mit einem leisen Ruck riss das sonderbare Netz und verschwand, von den Raupenketten in den Boden gedrückt. Die Lichter fingen hohe schwarze Gestalten aus der Dunkelheit, einen ganzen Wald davon, es war wie ein versteinertes Heer in entfalteter Gefechtsordnung. Ein spitzes Postament tauchte vor dem Wagen auf, fast wären sie dagegengefahren. Der große Mittelscheinwerfer flammte auf, beleckte die schwarze Säule, fuhr an ihr hoch.
    Es war eine überlebensgroße Skulptur, in der man mit einiger Mühe einen Doppelttorso erkennen konnte - nur den kleinen Torso, riesenhaft vergrößert. Er hielt die Hände gekreuzt und hoch erhoben und hatte ein flaches, fast eingefallenes Gesicht mit vier gleichförmigen Höhlen, sah also anders aus als jene, die sie kannten. Und er neigte sich zur Seite, als schaue er aus der Höhe aus vierfachen Augenhöhlen auf sie herab. Der Eindruck war so stark, dass eine Weile keiner sich rührte oder etwas zu sagen wagte. Dann ließ die Zunge des Scheinwerfers von dem Denkmal ab, glitt in die Finsternis und stieß auf andere Postamente. Die einen waren hoch und schmal, andere niedrig. Schwarze, fleckige Torsos thronten auf ihnen. Hin und wieder stand auch ein milchigweißer da, der aus Knochen gemeißelt schien. Alle Gesichter hatten vier Augen, einige waren seltsam entstellt, wie angeschwollen, besaßen eine hohe Stirn. Noch weiter weg, ungefähr zweihundert Meter entfernt, verlief eine Mauer, aus der gespreizte, geflochtene oder gekreuzte Hände von übernatürlicher Größe herausragten. Sie schienen die verschiedenen Richtungen des gestirnten Himmels anzuzeigen. »Wird wohl ein Friedhof sein«, flüsterte der Chemiker. Der Doktor kletterte bereits vom Heck des Panzers herunter, der Chemiker folgte ihm, während der Ingenieur den Scheinwerferkegel nach der anderen Seite richtete, dorthin, wo sich zuvor die Kalkbarriere erhoben hatte. Jetzt erblickte er dort ein dünnes Spalier von Figuren mit verwaschenen, gleichsam ausgespülten Zügen, verworrene Geflechte von Formen, in denen sich der Blick hilflos verlor. Kaum glaubte er etwas Bekanntes wahrzunehmen, entglitt das Ganze schon wieder seinem Verständnis.
    Der Chemiker und der Doktor schritten unterdessen langsam zwischen den Denkmälern dahin. Der Ingenieur leuchtete ihnen vom Beschützer aus. Eine ganze Weile schon glaubte er aus der Ferne ein weinerliches Jammern zu hören, da ihn jedoch der ungewöhnliche Anblick gefangenhielt, achtete er nicht auf die Laute, die so schwach und so undeutlich waren, dass er nicht einmal erraten konnte, woher sie kamen. Der Lichtkegel schwebte über den Köpfen der beiden Männer und holte neue Figuren aus der Dunkelheit. Plötzlich hörten sie in der Nähe

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